Arm oder reich? Tod oder lebendig?

 

Der Held der Lebensfiktion Jonathan Fischer hatte im Leben mehr erreicht, als er sich vorgestellt hatte. Sein Kindheitstraum Schachweltmeister zu werden konnte er zwar nicht realisieren, dafür entwickelte sich seine Berufskarriere kometenhaft. Wenn er so weiter machte, würde er als einer der jüngsten Bankvorstände Deutschlands in die Geschichte eingehen. In seiner politischen Laufbahn konnte er ebenfalls große Erfolge erzielen, denn er war zum Fraktionsvorsitzenden des Denkenstadter Gemeinderats aufgestiegen. Dies hatte er der Unterstützung seines Parteifreunds Straussinger zu verdanken, der im Eiltempo selbst zum Schatzmeister der Bundespartei und Justizminister von Baden-Württemberg gewählt worden war.

Durch Jonathans erfolgreiche Vermittlungsgeschäfte waren seine Rücklagen rasant schnell angewachsen, aufgrund dessen er sich ein Haus bauen wollte. Außerdem spielte der Junggeselle mit dem Gedanken einen Porsche Speedster zu kaufen. Aber wozu? Seine neu eingerichtete, günstig gelegene 3-Zimmerwohnung war groß genug und sein fünftüriger Familienopel war nicht einmal ein Jahr alt. Wegen der grasgrünen Lackierung fand sich sowieso kein Interessent auf sein Inserat in AutoScout24.de und Mobile.de. In der immer kürzer werdenden Freizeit füllte Jonathan seine unerklärliche innere Leere durch zahlreiche Einkaufstouren in der Stuttgarter Innenstadt, und er betrieb wieder mehr Sport. Neben Tennis zählte sein Centurion Mountainbike und seine Cannondale Straßenrennmaschine zu seinen Lieblingsfreizeitbeschäftigungen, um sich fit zu halten.

Wehmütig erinnerte sich Jonathan an seine Hochzeitspläne mit Helen, als er an einem Freitagabend mit seinem Backfiremountainbike am Scharnhauser Armortempel pfeilschnell vorbei schoss. Ja, was ihm wirklich fehlte war eine Frau, und dafür würde er alles Geld der Welt geben. Aber bekanntlich ist die wahre Liebe nicht käuflich. Bei der folgenden Downhill-Abfahrt durch die Kastanienallee zum Lustschloss hinunter ließ es der Hobbysportler richtig krachen und forderte das letzte aus seiner RockShox Federgabel heraus. Mit allem hätte Jonathan gerechnet, nur nicht mit dem ausgebüchsten Esel, des im Lustschloss herbergenden Tierarztes, der ihm in einer Kurve plötzlich den Weg versperrte und zu einem waghalsigen Ausweichmanöver zwang. Der barmherzige Samariter hatte schon einmal einen Filmriss wegen zu hohen Alkoholspiegels bei seiner Verabschiedung aus der Sportlehrkompanie in Warendorf, aber noch nicht wegen Salto Mortale über einen Fahrradlenker. Als Jonathan bedeppert wieder aufwachte war es zwei Uhr morgens. Dank seines Bell-Sturzhelmes schien er sich außer leichten Schürfungen an den Armen, nichts zugezogen zu haben. Beim Aufstehen schmerzte seine rechte Hüfte wieder höllisch, was ihm ein lautes Sch-Wort entlockte. Jonathan sank wieder auf seine Knie und weinte. Er fragte sich, warum ausgerechnet ihm das passieren musste und bekam als Antwort, dass wer sich ständig in Gefahr begibt, dieser erliegen wird. Zudem erinnerte er sich an die Kinderbibelstelle, wo der Prophet Bileam von einem Esel vor dem entgegentretenden Engel des Herrn beschützt wird. Sollte ihn Gott in irgend einer Art und Weise bremsen wollen?

 

Das Wochenende verbrachte der heimhumpelnde Patient Not gedrungener Maßen im Bett und ließ sich von seiner „Hilde hilft“ Vermieterin, die wie eine Oma für ihn war, verarzten und bekochen. Jonathan verwendete seit langem wieder Zeit für das Lesen im Buch mit den sieben Siegeln, und als ob der Allerhöchste abermals zu ihm sprechen wollte, hörte er dazu ausgerechnet seinen viel geliebten Pfarrer Benz im geistigen Teil des Radio Vatikan, der von seinem langjährigen Afrikaaufenthalt berichtete. Der katholische Priester sprach über Reichtum und Armut und behauptete, dass die von ihm betreuten Waisenkinder beim Spielen im Freien mit ihrem Konservendosenspielzeug viel glücklicher wären, als manches einsames Kind in Deutschland beim stundenlangen Fernsehschauen oder PC-Gamen. Auch die aussterbenden Gemeinden Europas könnten sich an dem freudigen, lebensfrohen Gottesdienststil der afrikanischen Gläubigen eine Scheibe abschneiden. Nicht umsonst würde Jesus in der Offenbarung eine Warnung an die Kirche aussprechen die da heißt: „Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.“ Damit könnte genauso gut ich selbst gemeint sein, folgerte Jonathan, bevor er in der sonntäglichen Nacht einschlief.

 

Am darauf folgenden Morgen fuhr der leicht gehandicapte Jonathan mit dem Auto in die Denkenstadter Bankzentrale. Zunächst besprach er mit Gebhart Scharkfisch die glänzende Geschäftsentwicklung der neu eröffneten Park-Haus Filiale, und daraufhin empfingen die beiden im Vorstandsbüro eine vermögende gewichtige Neukundin. Magdalena Osiris-Ra versuchte, den Eindruck zu erwecken, in ihrem futuristischen weißen Kleid, wie eine Ballettänzerin hereinzuschweben, bevor sie wie eine Kanzlerin im komfortablen Chefsessel hinter dem Schreibtisch Platz nahm. Das neue Hochzeitskleid im gewagten Oslo-Style habe ihr nach der Anprobe so gut gefallen, dass sie es mitgenommen habe, um die Bankberater um ihre Meinung zu befragen. Auf einmal herrschte Totenstille. Die beiden Volkswirte bekamen Stielaugen, denn so große Glocken hatten sie nur bei einer opulenten Opernsängerin im Saunabereich des Merkel´schen Bads in Esslingen zu Sicht bekommen. „Nehmen Sie doch Platz!“, bestimmte die neu mutierte Chefin und ließ ein Pendel vor ihrem überdimensionalen Ausschnitt schwingen. Die zwei sich auf den Kundenstühlen niederlassenden Hypnoseopfer kamen sich wie in die Falle tappende Äffchen vor, als sie den links rechts Bewegungen folgten und alles um sich herum vergaßen. „Hier unten befindet sich eine gesundheitsschädliche Wasserader. Dieser Schreibtisch muss unverzüglich umgestellt werden!“, lautete die nächste Anweisung der stadtbekannten Wahrsagerin. „Das geht doch nicht so einfach“, widersprach Gebhart, der wieder zu Verstand gekommene Vorstandsvorsitzende, und Jonathan begann ohne es zu wollen zu kichern. „Also gut, dann kommen wir zum Geschäft, ich fordere meine 666.000,- DM, die sich auf dem Immobilientreuhandkonto befinden in bar und zwar in Tausender Scheinen“, befahl die Geschäftspartnerin. Der düpierte Scharkfisch ließ unverzüglich Sauer, den Hausmeister antreten, um das Mobiliar wunschgemäß umzustellen. „Na also, geht doch. Was für Anlagemöglichkeiten gibt es denn?“, freute sich die an einem Sektglas nippende, nun auf dem Lederkanape sitzende Magdalena. „Hier haben wir ein ausgezeichnetes Angebot mit unserem Wachstumsfonds Ost, der jederzeit über einen gut funktionierenden Zweitmarkt zurückgekauft wird“, erläuterte der Bankvorstand und unterstrich dies mit einer Hochglanzbroschüre voller positiver Prognosen. Das weibliche Medium schloss seine Augen und versetzte sich in Trance: „Dieser geschlossene Immobilienfonds wird fast überhaupt nichts ausschütten, so steht es in den Steuern. Verflixt und zugenäht, Sternen. Warum bleibt der Prospekt an meinen Händen haften? Helfen sie mir doch das Ding wieder loszukriegen.“ „Selbstverständlich, aber hier handelt es sich nicht um eine Goldene Gans. Seien sie doch kein Dummling und unterschreiben sie hier“, war der Kugelschreiber hinhaltende Versuch des „Hans im Glück“ Chefverkäufers. „Nein, was schlägt statt dessen mein erfolgreicher Pyramidenveräußerer Fischer vor. Komm heraus du Geistesblitz!“, verlangte die gelöste Magdalena mit einem alles durchdringenden Blick. „Kaufen sie davon 33 Kilogramm Barren Gold und schleusen sie diese periodisch durch die Schließfächer Nummer 1 bis 13, das wäre im Sinne ihres Vaters Ramses Ra“, kam es wie aus der Pistole geschossen aus Jonathan heraus. „Aber diese Schließfächer sind doch in Denkenstadt gar nicht zu haben“, bezweifelte Scharkfisch. „In Denkenstadt nicht, aber dafür in unserem neuen vollautomatischen Kundentresor im Scharnhauser Park“, entgegnete, der sich damit wenig Sympathien verschaffende Filialleiter Fischer. „Das Angebot gefällt mir, jedoch muss ich es nochmals prüfen und mit meinem Verlobten besprechen. Schauen wir zunächst was die Tarot-Karten zu unserer Zukunft sagen“, meinte die sich flugs auf dem niederen Walnuss-Holztisch ausbreitende Kartenlegerin. „Oje, hier ist eine dringende Warnung für den Monaco Franze Scharkfisch. Sie machen mit einem gefährlichen Immobilienhai, der sich als Professor ausgibt, krumme Geschäfte. Es geht um Leben oder Tod, passen sie besonders gut auf, denn dieser will sie zu Gunsten seiner Scientology Sekte betrügen. Diese Konstellation hier ist ja bezaubernd, der Charmeur und ewige Stenz Fischer wird in den nächsten 24 Stunden auf seine zukünftige Frau treffen. Verflixt, ich muss meinen eigenen Unfall verhüten und hätte heute laut meinem Horoskop sowieso nicht aus dem Haus gehen sollen. Kann mich einer der Frauenlieblinge heimfahren?“, bat die verängstigte Esoterikerin und sammelte die bunten Kabbala-Blättchen wieder ein. Selbstverständlich nahm diese Chauffeuraufgabe der rangniedere Jonathan wahr und begleitete die weiße Hexe mit ihrer langen Schleppe zu ihrem Auto auf den Kundenparkplatz. Er traute seinen Augen nicht, als sie vor einem schwarzen Lamborghini Diablo GT stehen blieben. Ein heißes und kaltes Schaudern lief Jonathan beim Anblick der nach oben schwenkenden Fahrertür den Rücken herunter, als ihm Magdalena stolz und prahlend den Schein mit den Fahrzeugdaten zeigte und darum bat einzusteigen. Das auf 83 Exemplare limitierte Sondermodell besaß bei beinahe 6 Liter Hubraum knapp 600 PS und war der derzeit schnellste Straßensportwagen mit einer sagenhaften Höchstgeschwindigkeit von 338 Km/h.

Jonathan hörte ganz deutlich eine innerliche warnende Stimme nicht in das Auto zu steigen und besser den gegenüber stehenden eigenen Wagen zu benutzen. „Lassen sie uns lieber meinen Opel nehmen, denn für so einen Rennwagen benötigt man sicher erst ein Fahrertraining“, lautete sein verständlicher Einwand. „Absolut richtig, diese Ausbildung werde ich ihnen gleich geben“, summte Magdalena und übergab die Autoschlüssel in verführerischer Weise, indem sie einen weiteren tiefen Einblick in ihr Dekoltee gewährte. „Also gut, ich setze mich und checke einmal den Motorsound aus“, antwortete Jonathan, der glaubte, so eine Chance nicht wieder zu bekommen und den es beim Hineinzwängen wieder mächtig an der Hüfte zwickte. Der ansetzende, ungedämpfte Lärm des Diablo-Zwölfzylinders war genauso brachial und kraftvoll, wie einst Murcielago, der das Markenzeichen der ursprünglich italienischen Traktorenfirma repräsentierte. Der legendäre spanische Kampfstier überlebte 24 Lanzenstiche und wurde deshalb begnadigt. Als besonderen Gag schaltete sich ein kleiner Rückspiegel-Bildschirm in der Mittelkonsole ein, der das in vierzig Meter Entfernung befindliche, grinsende Schlangengesicht von Jonathans grünem Vectra aufzeichnete. Der Chefpilot trat mit aller Kraft auf die Sportkupplung und legte gerade den Rückwärtsgang ein, als ihn die total angeturnte Magierin mit ihren funkelnden Augen aufforderte einmal voll Stoff zu geben, damit die ganze Bank vor Schreck zusammenfahren soll. In der Tat begaben sich alle Angestellten inklusive Direktor bei dem einsetzenden Doppelrohrauspuff-Höllenlärm an ihre Fenster. Doch was war das? Eine Hand wie von Geierwally fasste Jonathan unaufgefordert an seiner empfindlichsten Stelle, so dass er zurück zuckte und ohne es zu wollen die Kupplung freigab. Von einer Sekunde zur nächsten landete das mit einem riesigen Spoiler ausgestattete Heck des tödlichen PS-Boliden mit einem lauten Knall in der Front des ebenfalls fast neuen Wagens des Lenkers. Der dunkle Carbon-Heckflügel flog gleichzeitig auf den Balkon von Scharkfisch, der sogleich als erster Helfer an den Unfallort hetzte. Er entdeckte die zwei unter Schock stehenden, sich mit starrem Blick an den Händen fassenden, aber sonst unversehrte Unfallinsassen. In kürzester Zeit waren auch Polizei, Krankenwagen und Bild Zeitung am Unfallort. Ganz zu schweigen von den unzähligen Denkenstadter Schaulustigen und den immer noch aus den Fenster spannenden Arbeitskollegen. Jonathan schämte sich so sehr, wie noch nie in seinem Leben und wünschte sich in Luft aufzulösen, als die Feuerwehr anrückte, um ihn und seine Bekanntschaft aus der zusammen gestauchten Fahrgastzelle zu befreien. Wie ging der lange Las Vegas Satz mit dem Kopf in den Sand stecken? „Liebes Sandmännchen, bitte komm schnell und streue mir Traumsand in die Augen, damit ich aus diesem Alptraum entfliehe!“, flüsterte der verzweifelte Bruchpilot in einer neuen kürzeren Version, so dass die wieder zu sich gekommene schmunzelnde Magdalena ihm zärtlich die Augenlieder zuschob. Jonathan wäre es lieber gewesen nicht so schnell mit einem Rettungswagen in das Ruiter Kreiskrankenhaus zurückzukehren. Vorsorglich bekamen er und Magdalena eine Halskrause aufgrund ihres Schleudertraumas verordnet. Durch den Unglücksfall gab es für den Story-Helden nicht nur ein Wiedersehen mit den Ärzten, sondern auch eine weitere kurze Urlaubsbekanntschaft aus Sedona tauchte wieder auf. Jonathan erkannte Elymas an seinem großen Anch-Kreuz sofort wieder und fasste sich an den Kopf, als ihm das Gespräch in dem New Age Laden mit dem inzwischen verlobten Stuttgarter Pärchen wieder einfiel. „So, so, scheinbar hat der sich geistlich fortbildende Anzugträger es mal wieder transrapid eilig gehabt und dabei den eigenen magnetisch anziehenden Servicewagen vergessen“, spottete der zukünftige Bräutigam und drückte demonstrativ, die nicht nur durch die neu angepassten Schaumstoffeinlagen am Oberkörper eine übergroße Oberweite vorweisende Magdalena, küssend an sich.

Der Beifahrerin Osiris-Ra dämmerte letztendlich ebenso die schicksalhafte Tragweite ihrer ersten Begegnung in den USA. Die spirituell hoch Gebildete begann sich mächtig zu ärgern, weil sie nicht die Warnung ihres Unfallwarn-Horoskops befolgt hatte. Der listige Elymas Wicked-Oz bot Jonathan freundlicherweise an, ihn gemeinsam mit Magdalena nach Hause zu fahren, aber zuvor müsse dieser unbedingt den Meldebogen der Merlin-Versicherung ausfüllen.

Als Jonathan am Einschlafen war, fragte er sich, ob er nicht besser ausführlicher schreiben und die ganze Wahrheit hätte angeben sollen. Warum hatte er sich mit dem Versicherungsbericht so überrumpeln lassen? Was war bloß mit ihm geschehen? Wieso entwickelte er plötzlich so starke Gefühle für Magdalena? Warum bekam er diese 24 Stunden Liebes-Prophezeiung? Spricht Gott etwa doch durch Karten, obwohl diese in christlichen Kreisen verboten sind? Sollte sich am Ende die Liebesstory von Brian und Sharon in seinem Leben wiederholen? Er musste immer wieder wollüstig an die braungelockte Magdalena mit ihren großen Brüsten denken und dachte sogar zu spüren, dass sie sich ganz nah bei ihm im Raum befindet.

 

Am nächsten Morgen klingelte das Telefon in Jonathans Wohnung pausenlos. Der für eine Woche krank Geschriebene nahm wohlweislich nicht ab und programmierte seinen Anrufbeantworter wie Charlie in Phönix auf Zuschalten nach zwei mal Leuten. Witwe Hilde hatte ihm ein Boulevardblatt unter der Tür durchgeschoben, in dem man ihn Händchen haltend mit der bleichgesichtigen Locken-Schönheit betrachten konnte. Darunter war ein älteres, verführerisches, oberkörperfreies Bild derselben. Die Schlagzeile lautete: „Schuhmacher bleib bei deinem Leisten, Denkenstadter Bankdirektor versuchte sich als sexbesessener Rennfahrer!“ Der Gedemütigte dachte nicht daran, an die Sprechanlage der Eingangstür zu gehen, obwohl auch diese pausenlos läutete. Seine Hauswirtin klopfte an die Innentür, und bat dringend darum zu öffnen. Als er sich stumm stellte, nahm diese einfach ihre Ersatzschlüssel und betrat mit einem ganz in weiß gekleideten Mann die gute Stube. Der berühmte Zaubergroßmeister Wicked-Oz hatte damit gedroht das gesamte Haus mit einem Fluch zu belegen, so dass in kürze der Blitz einschlägt, wenn ihm kein Zutritt verschafft wird. Die helfende Hilde ließ Jonathan, mit dem, wie Benny Hinn überaus vornehm gekleideten, Hohenpriester Elymas alleine.

Der Busenfreund von Magdalena fand es überhaupt nicht komisch, das Händchen haltende Foto auf dem Esstisch zu entdecken. „Wenn ich dich nochmals so mit meiner Verlobten erwische, dann schwöre ich dir, ich bringe dich um!“, wütete der erzürnte Widerbuhler. Gleichzeitig krochen zwei kleinere Ringelnattern aus seinen weißen goldbeknöpften Sakkoärmeln heraus und bewegten sich züngelnd über eine Obstschale auf den gegenüber Sitzenden zu, so dass dieser vor Schreck rückwärts auf seinen Perserteppich fiel. Jonathans Frettchen freute sich über die neuen Spielkameraden umso mehr und hüpfte unerlaubterweise auf den Tisch, um sein morgendliches, frisch zubereitetes Frühstück einzunehmen. Die Situation hatte sich schnell entspannt. Deshalb setzten sich die Kontrahenten auf die Couchgarnitur, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Elymas Wicked-Oz hatte von der Versicherung erfahren, dass der 580.000,- DM teure Diablo-Rennwagen laut Vertragsbedingungen eigentlich nur von der zuvor in ein Sicherheitstraining eingewiesenen Osiris-Ra hätte benutzt werden dürfen. Das eine Woche alte Verlobungsgeschenk von Elymas konnte laut Gutachter lediglich als 66.000,- DM Ersatzteillager weiter verwendet werden. Jonathan war aus Mitleid bereit, eine Bürgschaft für Magdalena zu unterschreiben, denn insgeheim betrachtete er sich als legitimen Blutsbruder-Bräutigam. Er selbst meinte viel schlimmer dran zu sein, weil er für seinen Vectra nur um die 500,- DM vom Schrotthändler bekommen würde. Zum Trost bot er dem sich verabschiedenden Reptilienvergötterer an, die abgeworfenen Schwänze seiner Dünnhäuter als Liebesbeweis, zu einer Handtasche verarbeiten zu lassen. Diese falsche Schlange Elymas fuhr wegen den kleinsten Bemerkungen aus der Haut und versuchte, Jonathan am Hals zu würgen. Er hatte jedoch nicht mit den scharfen Zähnen, des auf Jonathans Schulter hüpfenden Aaron, dem Frettchen, gerechnet und suchte deswegen an den Händen blutend abrupt das Weite.

Genau in diesem Moment ergriff Gebhart Scharkfisch die Klinke in die Hand und verschaffte sich Zutritt. Er wollte von seinem nicht ans Telefon gehenden Prokuristen wissen, ob er den Arbeitsunfall schon der Berufsgenossenschaft weiter gemeldet hat. „Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen. Ich habe ganz normal meine AOK-Krankenversicherungskarte abgegeben“, erklärte Jonathan seinem Chef. „Dann gib wenigstens mehr acht, wenn du Angaben zum Unfallhergang bei der Autoversicherung machst und behaupte der Kundin wäre schlecht gewesen, weswegen sie dich um eine Heimfahrt gebeten hat!“, war der zu spät erteilte Ratschlag des gewieften Vorgesetzten. „Das ist nicht mehr nötig. Den Hergang habe ich knapp und wahrheitsgemäß bereits gestern bei dem weißen Anzugsträger gemeldet!“, teilte der Pflichtbewusste mit. „Ich dachte immer du wärst ein schlauer Schachspieler, aber dein dummes religiöses Gewissen, kann dir eine halbe Million Haftungssumme einbrocken“, schloss Gebhart. „Das macht nichts. Ich habe gerade eine Bürgschaft in der Höhe unterschrieben, weil ich mir sicher bin Magdalena zu heiraten. So viel ist sie mir wert.“ „Liebe macht blind und schnell erworbenes Geld spendierfreudig und leichtfertig. Bevor du noch ganz überschnappst möchte ich von dir, als ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden, wissen, ob du hinter diesem Rundbrief von Elisabeth Schätzle steckst. Dann Gnade dir Gott, ich leg dich um!“, mit dieser Verheißung überreichte der machthungrige Boss mehrere Seiten Papier.

Schätzle hatte nach Jonathans Beförderung zum Prokuristen und zwangsläufigen Ausscheiden aus dem Betriebsrat den Vorsitz des Arbeitnehmergremiums übernommen und einen Skandal ausgelöst. Die landesbeste Azubine, die insgeheim eine Verehrerin Jonathans war und ihm in jungen Jahren einen Liebesbrief geschrieben hatte, schien ihrer Karriere einen gewaltigen Dämpfer zu geben. Sie hatte gewagt, in einer Lotus-Notes-Mitteilung an alle Arbeitnehmer, eine Thesenliste mit Verletzungen gegen das Betriebsverfassungsgesetz zu veröffentlichen. Der erste Anklagepunkt war, dass die Geschäftsleitung die Wahl einer Jugend- und Auszubildendenvertretung bewusst verhindert hätte, und der fünfundneunzigste Vorwurf lautete, dass der Vorstand ihre Rede für die Betriebsversammlung zensiert hätte und dort sowieso überhaupt nichts als Pseudo-Versammlungsleiter verloren hätte.

 

Scharkfisch wollte die Aufsässige sofort gemeinsam mit seiner Personalleiterin Octopussy in den Würgegriff nehmen, doch die intelligente Bankfachwirtin bestand darauf, Jonathan als Helfer und Zeugen dabei zu haben. „Du ziehst deine Halskrause an und kommst sofort mit, sonst schmeiße ich dich gleich auch noch raus!“, befahl Fürst Gebhart, der wütende erste Oberbefehlshaber. Zornigen Machthabern widerspricht man lieber nicht und tritt man besser überhaupt nicht unter die Augen. Nichts desto trotz konnte Jonathan wenig später im Personalbüro interessant verfolgen, wie die streitbare Gewerkschafterin sich elegant verteidigte. Das Gespräch war rasch bei einem Aufhebungsvertrag angekommen, bei dem lediglich die Höhe der Abfindung unterschiedlich beurteilt wurde. Scharkfisch bot aufgrund der kürzeren Beschäftigungsdauer 6.000,- Deutsche Mark für die sofortige Ausscheidungs-Unterschrift an, wobei das geschasste Schätzle 33.000,- DM für ihren lautlosen Abgang als Aussteuer mitnehmen wollte. „Also gut, dann warne ich sie vor, dass ich für nächste Woche eine außerordentliche Betriebsversammlung einberufen werde unter Mitwirkung des Gewerkschaftskapitäns Ahab und unter Einbeziehung der örtlichen Presse. Außerdem zeige ich sie wegen illegalen Immoblilienmachenschaften und Geldwäsche an“, war das stichhaltigste Argument, der zur friedvollen evangelischen Kreditgenossenschaft EKK wechselnden pietistischen Rockträgerin. Der katholische Glaubensinquisor wollte keinen neuen Krieg eingehen und gab sich als Klügeren bezeichnend überraschend nach, obwohl es in Führungskreisen verpönt ist Schwäche zu zeigen.

 

Wieder in die Schloßstraße zurückgekehrt wartete eine Überraschung für Jonathan auf seiner Couch. Magdalena hatte es auch irgendwie geschafft hereinzukommen und studierte gerade zahlreiche Bücher, die sie auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet hatte. „Mein Lieber, ich habe noch niemand erlebt, dem es gelungen ist Wicked-Oz in die Flucht zu schlagen und ihn so zu demütigen und zu besiegen. Ich spüre von dir geht eine größere Kraft als von ihm aus. Komm mal her zu mir Süßer, ich will dich streicheln“, winkte Magdalena mit ihren langen Airbrush-Fingernägeln. „Aber bitte nicht so heftig wie gestern. Ich bin Christ und will jungfräulich in die Ehe eingehen“, wendete Jonathan ein, der sich überlegte, ob er reiß aus nehmen sollte oder lieber gleich alle Prinzipien über Bord schmeißt. Magdalena knöpfte ihm das Hemd auf und kraulte ihn am Oberkörper. Sie begann seinen Rücken zu massieren und streichelte ihn so gekonnt, dass er spürte wie eine Kraft durch seine Wirbelsäule ging. Sämtliche Schmerzen waren verflogen. „Das ist Reiki, kosmische Lebensenergie. Ich habe dir wissenswerte Literatur darüber mitgebracht. Du wirst einmal mehr Macht und Erkenntnis als ich besitzen. Liebster das Schicksal hat uns zusammengeführt, wir sind die perfekte Kombination“, war sich die Esoterikmeisterin sicher. Jonathan ließ sich gerne bezirzen, wurde aber ausgerechnet an Odysseus und die webende Kirke, die singenden Sirenen und die weissagenden Sybillen erinnert, während er sich für eine kurze Sitzung auf den Abort begab. Als er zurück kam war Magdalena Osiris-Ra wie vom Erdboden verschluckt und hinterließ leider nur noch ihre Visitenkarte und die vielen Lehrbücher. Der geistige Schüler überflog ein Schriftstück nach dem anderen und war geschockt, weil sie sich gegen zahlreiche biblische Verbote hinwegsetzten. Sollte er so enden wie König Salomo, den seine vielen ausländischen Frauen zur Zauberei und Götzenanbetung verführten? Wenn man vom Teufel versucht wird, muss man mit dem Wort Gottes zurückschlagen, hatte Jonathan anhand der Evangelien gelernt. Deshalb rief er seinen Freund David aus dem Charisma Shop an und bat ihn um einen Gefallen. Er solle die für eine Hexe geeignete christliche Literatur heraus picken und einen Strauß mit roten Rosen mit einem Gruß von ihm besorgen, um anschließend die Geschenke im benachbarten Leonhardsviertel im Edel-Ethos-Center bei Magdalena abzugeben.

Gedanklich drehte sich bei Jonathan alles nur noch um die Esoterik-Geschäftsinhaberin. Meine Güte, wie gut konnte diese Frau massieren. Am Abend war eine weitere Morddrohung von Elymas auf den Anrufbeantworter eingegangen, der es nicht komisch fand, die Blumen mit den Geschenken im gemeinsam geführten Laden entgegen zu nehmen. Magdalena, die ihre Handynummer auf ihrer Visitenkarte hinterlassen hatte, beruhigte ihren neuen Verehrer, der von ihr für immer und ewig ablassen wollte, schnell wieder. Wicked-Oz wäre ein großer Manipulationskünstler, dessen Handgriffe bei Eingeweihten aber wenig Erstaunen hervor riefen. Wegen seiner großen Eifersucht wäre es besser, wenn sie sich eine Zeit lang nicht sehen. Er soll nicht traurig sein, denn sie könnte sich ihm durch ihre Astraltechniken nähern. Sie würde immer wieder den roten Rosenstrauss betrachten und sich über die aufregenden kostbaren Schicksalsbücher viel mehr freuen, als über ein schnödes Schrottautoverlobungsgeschenk. Was den Goldhandel angeht, gebe sie grünes Licht, denn für die Idee wäre ihr Verlobter, von dem sie sich bald lösen würde, sofort Feuer und Flamme gewesen.

 

Bei Jonathan breitete sich wegen seinen gespaltenen Gefühlen immer mehr Verwirrung aus. Für schlaflose Nächte sorgte auch die Bemerkung von Elisabeth Schätzle, dass Gebhart Scharkfisch krumme Geschäfte machen würde. Am nächsten Morgen ging Jonathan schon um fünf Uhr in die Hauptstelle, um anhand von Kreditunterlagen einem Verdacht nachzugehen. Er studierte die Geschäfte des Firmenkunden „Besser als Gut Immobilien GmbH“, deren Geschäftsführer Kempe einen Bauboom in Denkenstadt ausgelöst hatte. Als Denkenstädter Gemeinderat hatte sich Jonathan schon darüber gewundert, warum Karl Kempe fast sämtliche Aufträge für öffentliche und private Projekte zugewiesen bekam. Baufinanzierungskunden hatten sich auch schon bei ihm beschwert, dass die Besser als Gut Immobilien GmbH auf dem öffentlichen Neubaugebiet für den Verkauf von Häusern warb, obwohl das Bauland der Stadt gehörte. Somit wurde verhindert, dass Häuslebauer in Eigenregie oder mit einem anderen Bauträger Wohnraum schafften. Als Jonathan sich anfing zu fragen, warum zahlreiche Provisionszahlungen über die Genfer Banque de Rivage abgewickelt wurde, überraschte ihn Scharkfisch, der plötzlich um sechs Uhr früh auftauchte: „Was machst du mit dieser Kreditakte. Das ist doch mein Geschäftspartner, der dich überhaupt nichts angeht. Hast du etwa dem Geschwätz dieser Schätzle glauben geschenkt?“ „Ääähm, nein, natürlich nicht. Ich wollte dich nur vor der Scientology Sekte warnen. Weißt du schon, dass dieser Karl Kempe gerade in Yale einen Ehrenprofessortitel von der Beaubones-University bekommen hat?“, versuchte Jonathan das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Willst du mir jetzt auch noch mit dem Hokuspokus dieser Scharlatanerin Osiris-Ra kommen? Am Ende versuchst du mich in die Krallen jener, wie eine Eule stierenden Kreatur, vor der du niederfällst, zu bringen. Natürlich, warum mache ich mir Sorgen, wie am Bohemian Grove. Du hast das Bankgeheimnis verletzt und vertrauliche Informationen über die Geschäfte und Vorlieben von Professor Kempe an sie weiter gegeben. Und dann noch der Quatsch von dieser Fremdverlobten, dass du sie heiraten wirst. Meinst du Dummschädel wirklich ich falle auf euch zwei rein. Her mit der Akte. Hiermit bist du wegen Geheimnisverrat entlassen!“, lautete der Rausschmissgrund des beherrschungslosen Despoten. „Du weist genau, dass du mir eine schriftliche Begründung liefern musst. Ich nehme aufgrund meiner Krankheit freiwillig eine Woche Urlaub, bis du dich wieder abgekühlt hast. In der Zeit kümmerst du dich um den 666.000,- DM Edelmetalldeal mit Osiris-Ra, an dem ich nichts mit verdienen will“, war der Kompromiss von Jonathan auf den sein Chef mürrisch einging.

 

Jonathan musste nicht nur pausenlos an seine geschäftlichen Probleme, sondern auch unentwegt an Magdalena denken. Er spürte nachts immer wieder, dass sie sich ganz nah bei ihm befindet, als ob sie selbst in seinem Schlafzimmer wäre. In seinen heißen Träumen fühlte er sogar, wie Magdalena das Doppelbett, welches er mit Helen herausgesucht hatte, mit ihm teilte. Ausgerechnet in diesem Moment wurde er aus dem Schlaf gerissen, denn es klingelte gerade diese steife Kopfverdreherin früh morgens am Telefon. Helen Richards erinnerte ihn daran, dass er sich als Trauzeuge zur Verfügung gestellt hatte und fragte, ob alles am Nachmittag klar geht. Oh Mann, diese Einladung zu ihrer standesamtlichen Eheschließung in Göttingen, hatte er bei all den Geschehnissen tatsächlich vergessen. Dummerweise stand Jonathan kein Auto zur Verfügung, deshalb machte er sich gleich mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf den Weg. Helen Richards und Otto Blümchen planten, sich Mitte der Woche an ihrem Wohnort das weltliche Ja-Wort zu geben. Am darauf folgenden Wochenende wollten sie von Aaron Spelton, vor den britischen Verwandten, in der Gemeinde des Königs in Ramsgate, den kirchlichen Segen empfangen. Während der langen Zugfahrt las Jonathan folgende drei Schlag-auf-Finger-zeig-drauf-Kommentare: Ein Mann ist nur so viel wert wie sein Wort. Besser kein Gelöbnis eingehen, als eines das man bricht. Wer die Braut hat, der ist der Bräutigam, der Freund des Bräutigams aber ist hoch erfreut…

Ha, ha, diese Art von göttlichem Humor konnte er überhaupt nicht gebrauchen. Ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn er seinen inneren Frieden wieder zurück bekommen hätte und die Eifersuchtsgefühle auf Blümchen verpufft wären. Moment mal, wie lautete dessen und sein eigener Schlüssel zum Erfolg? Trachte zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit und dies alles wird euch zufallen.

 

Jonathan war trotzdem froh, als er wieder am Abend am Stuttgarter Hauptbahnhof angekommen war und die Zeremonie hinter sich gebracht hatte. Doch wer saß da auf den Treppen der großen Schalterhalle? Zwei alte Bekannte mit denen er bestimmt nicht gerechnet hatte. Der eine war stockbesoffen und erbrach gerade eine vom anderen gereichte Butterbrezel auf den Boden. Frank Stein war als Obdachloser auf der Straße gelandet und wurde von Markus Ruf, der ihm von Jesus erzählen wollte, betreut. Markus kniete sich auf die Stufen nieder und schrie zu Gott, dass er sich um Frank erbarmen und ihn retten sollte. Die vorbeilaufenden Reisenden hielten ihn verständlicherweise für einen religiösen Irren. Einzig Jonathan freute sich über das Wiedersehen: „Hey Markus, was ist denn mit dir passiert? Bist du katholischer Kirchendiener jetzt in die Heilsarmee eingetreten?“ „Nein, Alois Löser, der frühere Ministrant und Jugendleiter der St. Nikolaus Kirche, hat mich nach Taizee eingeladen. Ich war von den gemeinsamen Gebetsgesängen und Andachten mit Frere Roger so beeindruckt, dass ich das Erlebte in die Praxis umsetzen wollte und bei meiner Rückkehr mich um dieses kostbare Geschöpf Gottes kümmern musste“, antwortete sein früherer Zimmerkollege, der ebenfalls eine mächtige Gottesvision in Großbritannien erhalten hatte. „Das gibt es ja nicht. Du bist ja Jonathan“, merkte der plötzlich entnüchterte Tippelbruder auf und umarmte mit seinen bestialisch stinkenden Klamotten seinen Sandkastenfreund. In diesem Moment kam Magdalena wie aus dem Nichts vorbei gelaufen und überreichte einen großen Koffer an „Frankenstein“. „Danke Maggie Magierin, treffen wir uns später auf dem Friedhof wieder?“, erkundigte sich der Beschenkte, doch so schnell wie sie gekommen war, sprang sie die Treppen zu den Bahngleisen hinauf. Jonathan hechtete ihr hinterher, fasste sie an den Händen, drückte ihren Oberkörper an seinen Brustkorb und gab ihr vor den Augen aller vorbei laufenden Menschen einen minutenlangen Kuss: „Ach, wenn dieses wärmende Gefühl doch nie vorüber ginge.“ „Leg mich wie ein Siegel an dein Herz, wie ein Siegel an deinen Arm. Die Liebe ist stark wie der Tod und Eifersucht hart wie das Grab. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn. Liebster, wecke die Liebe nicht auf, wenn es ihr nicht selbst gefällt. Ich muss schnell gehen, sonst bringt dich Wicked-Oz bestimmt noch um. Versprich mir Frankenstein zu deinem Schutz mit nach Hause zu nehmen“, einen letzten Schmatz auf die Backe gebend trennte sich die feurige Hormonwallie.

„Was ist denn das für eine heiße Braut? Hast du zuvor wirklich den Herrn gefragt, ob sie für dich bestimmt ist?“, wollte der erstaunte Sittenwächter Markus wissen. „Ja natürlich, die jüdische Kabbala bezeugte, dass sie die innerhalb von 24 Stunden auf mich treffende Jungfrau ist“, war sich Jonathan sicher. „Moment mal, ihr wisst ja gar nicht was ich mit der Hure über den Gräbern so alles treibe“, begab sich Casanova Frankenstein auf sein normales Pennerniveau zurück. Der entrüstete Jonathan wollte ihm dafür einen Schlag ins Gesicht geben, wovon ihn Ruf zu seinem Schutz gerade noch abhalten konnte. Markus fand es wäre besser die Versammlung aufzulösen: „Tschüss Jonathan, komm doch mal wieder zum Jesus-Treff, dann haben wir mehr Zeit zum Reden.“ „Ok, versprochen, bis bald“, verabschiedete sich Fischer und ließ den deprimiert wirkenden Frankenstein alleine auf den Treppen zurück. Moment mal, hatte er gerade nicht zwei Versprechen abgegeben? „Frankenstein, du musst mitkommen und bei mir übernachten. Befehl von Chefin Maggie“, forderte ihn der den Koffer an sich nehmende Schulfreund auf, dem es peinlich war, sich mit dem tätowierten Stinker in ein Abteil der Stadtbahn zu setzen. Was würde sein Chef sagen, wenn er ihn mit diesem potentiellen Bankräuber sieht, und wie reagiert bloß seine Vermieterin? Die zweite Sorge war unbegründet, denn die bemutternde Hilde und Frank freundeten sich schnell an. Zunächst einmal wurde der Alkoholentzugspatient in die Badewanne gesteckt und die alten Kleider in der Mülltonne entsorgt. Die sich wandelnde Magdalena hatte nicht nur eine Herrenausstattung eingepackt, sondern auch das selbst als Geschenk erhaltene Buch „Jesus unser Schicksal“ von Wilhelm Busch hinzugefügt, das Frank interessiert verschlang. Besonders angetan war dieser auch von dem seine Kleider durchwühlenden Frettchen, mit dem er stundenlang spielte.

 

Jonathan konnte die beiden Langschläfer-Tierfreunde am nächsten Tag getrost alleine lassen. Die nächste standesamtliche Eheschließung wurde vollzogen, zu der Jonathan als Trauzeuge eingeladen war. Vera Fischer und David Diao heirateten im Bürgerbüro Heumaden und freuten sich gemeinsam mit ihrem per Straßenrennmaschine angekommenen Freund. Für die am Samstag stattfindenden kirchliche Trauung durch Davids Kumpel Walter Cunningham bei der FCJG in Lüdenscheid war Jonathan ebenfalls eingeladen. Darum besorgte er sich schleunigst einen neuen Wagen, der diesmal sehr demütig ausfallen sollte. Das Renault Autohaus Fischer in Berkheim nahm tatsächlich seinen zerstörten Vectra als 4.000,- DM Leasingsonderzahlung für einen voll ausgestatteten Kleinwagen entgegen, so dass die monatliche Belastung des zweijährigen Vertrags sensationell niedrig ausfiel.

Um diese Lebensfiktion noch unglaublicher zu machen, oder um den Leser weiter zu erstaunen, gab es am folgenden Freitag eine weitere amtliche Trauung bei der Jonathan Zeuge war. Reinhild Fischer und Martin Peter Anrich unterzeichneten im Stuttgarter Rathaus ebenfalls einen Ehevertrag. Jonathan war stolz für diese Zeremonie mit geöffnetem Faltdach in seinem gerade abgeholten blau-metallenen Neuwagen vorzufahren, erhielt außer Schmunzeln jedoch wenig Bewunderung bei den wartenden, noblen Verwandten des Ärztepaares. Anders verhielt sich dies, als er heimkam und den Froschaugen-Twingo vor seinem sich öffnenden Schlafzimmerfenster einparkte. Frankenstein und das Frettchen Aaron, schauten gemeinsam neugierig heraus. Plötzlich schrie der mit zahlreichen Götterbildern tätowierte Schutzengel, er solle sich sofort ducken. Sechs Schüsse erschallten binnen kurzem aus dem Hinterhalt, die die mit einem riesigen, reflektierenden Jesus Aufkleber versehene Heckscheibe gänzlich heraussprengten und die Frontscheibe völlig zerstörten und durchschlugen. Das wie durch ein Wunder unversehrt überlebende Mordopfer wollte nicht schon wieder in den Schlagzeilen auftauchen, doch selbstverständlich wurden auch hier Polizei und Presse in Windeseile von den Nachbarn verständigt. Natürlich konnte er sich denken wer für diesen Anschlag, der zu dem Film vier Hochzeiten und ein Todesfall gepasst hätte, verantwortlich war.

 

Zum Trost kam spät abends Magdalena vorbei und drückte ihren Verehrer auf dem Sofa an sich. Das verursachte eifersüchtige Blicke von Frank und Aaron, die ihre Zweisamkeit nicht teilen wollten. Frankenstein nahm, die Türe zuschlagend, wutentbrannt reiß aus, als die beiden ungeniert anfingen sich abermals zu küssen, und Aaron wagte es, die Konkurrentin am Popo zu beschnüffeln und zu zwicken, was ihm eine Verbannung in seinem Holzkäfig einhandelte. Der dem Galgen entronnene Jonathan fand seinen Humor wieder und erzählte: „Morgen bin ich auf drei Hochzeiten gleichzeitig eingeladen, aber ich kann mit dir auf nur einer tanzen. Wohin möchtest du zum Essen mitkommen? Nach Ramsgate in den Honeysuckle Inn Pub, nach Lüdenscheid ins Restaurant Haus Waldlust oder in die Hohenheimer Speisemeisterei?“ „Die Waldlust würde am besten zu mir passen, aber sag du, Süßer.“ „Es gibt kaum einen besseren Koch als Martin Öxle“, wusste Jonathan und verzog sich mit der ihn abermals streichelnden Magdalena ins Doppelbett, um andere fleischliche Genüsse zu kosten. In diesem Moment läutete es wieder Sturm. „Bei Thor, dieser hämmernde Frankenstein kann ruhig ein bisschen warten, auch wenn es anfängt zu blitzen und zu donnern“, hauchte die Romantikerin durch ihre feuchte Zunge, was Jonathan gänzlich beherrschungslos machte. Je mehr Kleider die beiden sich hektisch entledigten, desto lauter erschallte das Donnergrollen und prasselte der Hagel gegen den herunter gelassenen Rollladen. Das Zentrum des Gewitters kam, den Höhepunkt vorbereitend, immer näher. Nichts und niemand konnte Jonathan jetzt noch aufhalten. Doch was war das? Die Wohnungstür wurde wiederum von fremder Hand geöffnet und die Anstandsdame Hilde rief von draußen: „Herr Fischer, ich möchte nicht stören, aber dieser drohende Zaubermeister schafft es sonst tatsächlich noch den Blitz in mein Haus einschlagen zu lassen.“ Wicked-Oz kam augenblicklich ins Schlafzimmer herein gestürmt und nahm abermals seine spärlich bekleidete Verlobte an sich. „Entschuldigung, tut mir Leid, da hab ich doch glatt die Beherrschung verloren, aber es ist ja nichts passiert“, entschuldigte sich Jonathan, der befürchtete, dass seine letzte Stunde geschlagen hat. „Akzeptiert, wie wäre es, wenn wir uns zusammen setzen und ganz vernünftig zu dritt die verworrene Situation diskutieren?“, lautete der unerwartete Vorschlag von dem auf einmal sympathischer wirkenden Elymas, der dann überraschender Weise fort fuhr: „Gerne löse ich die Verlobung wieder auf, doch dann möchte ich das Geld für den Lamborghini Diablo zurück haben. Die Merlin-Versicherung wird den Schaden sowieso nicht erstatten und du, liebe Magdalena, bist verpflichtet mir als arglistig Getäuschten, die aufgrund der bevorstehenden Ehe getätigten Leistungen zurück zu erstatten.“

„Ich habe doch heute mein ganzes liquides Geld in die Goldbarren investiert, und außerdem habe ich von so einem Schwachsinn noch nie etwas gehört“, beklagte sich Magdalena. „Doch, es stimmt tatsächlich was Elymas sagt“, wusste Jonathan aus Schulungen. „Ich habe sowieso schon für dich gebürgt und die Summe auch auf der hohen Kante. Durch mein eBank-Tagesgeld bei der Volksbank Plochingen eG kann ich über mein Vermögen sofort verfügen. Aber wie wäre es, wenn ich den krankhaft Eifersüchtigen zuvor in den Knast bringe. Ich muss nur der Polizei von seinem Mordkomplott berichten“, drohte das beinahe Erschießungsopfer. „Alles was recht ist. Mit den zerschossenen Autoscheiben habe ich nichts zu tun. Ich habe ein Alibi. Die Kripo hat mich und meine Gespielinnen schon vernommen, deshalb bin ich gleich helfend her gefahren, weil ich eine bestimmte Ahnung mitteilen wollte. Dann ist mir Frankenstein fluchend entgegengekommen und schwor bei Zeus, dass Maggie sich gerade von der gegnerischen Seite schwängern lässt.“ „Du kennst Frank Stein, woher denn, und was ist dein Verdacht über den Scharfschützen?“, wollte Jonathan wissen. „Frankenstein kommt doch schon jahrelang in Maggies Hexenzirkel, und der versuchte Mord wurde von Scharkfisch ausgeführt“, war sich Elymas sicher. „Wie kommst du denn da drauf?“, fragte Jonathan, der seinem Chef diesen Racheakt nicht zutraute. „Ganz einfach. Wir waren heute morgen im Büro von Scharkfisch und machten das Goldgeschäft fertig. Magdalena bestand darauf, dass die 33 Barren in den Schließfächern deiner Filiale im Park-Haus und nicht in Denkenstadt verwahrt werden. Ein Streit darüber entfachte, bis Magdalena resolut entschloss das Gold in den Edel-Ethos-Center mitzunehmen. Auf einmal war Scharkfisch doch bereit und fuhr uns mitsamt der Ladung in seinem weißen Mercedes in die ehemalige US-Militärkaserne Scharnhauser Park. Als ich ihn fragte zu was er das eingewickelte Bundeswehrgewehr im Kofferraum mitführt, und ob er einen Waffenschein besitzt, wurde er kurz verlegen und behauptete Jäger zu sein, der den Goldtransport so vor einem Überfall beschützen kann“, lautete die interessante Beobachtung von Elymas. Der Schachkombinierer wurde still und addierte im Kopf zusammen. Frankenstein hatte vor der Polizei ausgesagt ein G22 Repetiergewehr, aber nicht den vermummten Schützen und das weiße Auto zweifelsfrei erkannt zu haben, was diese dem Skinhead und Obergefreiten a.D. sowieso nicht abnahmen. Die Thesenliste von Elisabeth Schätzle entsprang größtenteils wirklich aus Jonathans Ideen und Wissen, denn bei den geheimen Treffen des Betriebsrats hatte der arbeitgebertreue Vorsitzende Fischer wie viele andere Gewerkschafter große Reden geschwungen, von denen er als Duckmäuser und Speichellecker nichts umsetzte. Mit den Betrugsvorwürfen hatte Schätzle ebenfalls den Nagel auf den Kopf getroffen. Aus Beratungen mit Maria Müller-Kempe wusste Jonathan, dass riesige Barabhebungen und Einzahlungen, die sie nicht selbst betrafen von Kempe gemeinsam mit Scharkfisch auf ihrem privaten Girokonto getätigt wurden. Um die Identifizierungspflicht nach dem Geldwäschegesetz zu umgehen, hatte sie blanko unterschriebene Ein- und Auszahlungsbelege bei Gebhart Scharkfisch hinterlegt und ihr schlechtes Gewissen bei ihrem Filialleiter und früheren Verehrer Fischer erleichtert. Zudem war der gefährliche Mitwisser Jonathan wegen seiner vielen Erfolge schon als Nachfolger vom gejagten Scharkfisch, der ein Räuber, aber kein wirklicher Jagdbruder war, gehandelt worden. Schon länger war er diesem mit seltsamen Methoden arbeitenden Dienstherrn, dessen Kontrollmechanismen immer wieder verpufften, nicht mehr geheuer. „Was machen wir jetzt?“, wollte Jonathan wissen. „Ich verkaufe das Gold wieder und gebe es Elymas als Lösegeld zurück. Das beste ist wir annullieren die Verbindung. Denn was kann Satan und Gott gemein haben. Ich mag dich zwar mein Oberguru, aber ab heute ist es mit der Zauberei bei mir vorbei, ich habe mich nämlich bekehrt und mein Leben Jesus Christus gegeben. Von mir aus soll mein Heiland meine ganze Mitgift in Form von kostbaren Ölen, Gold und Autoweiheabgasen haben!“, war der Entschluss der modernen Maria Magdalena. „Aber Maggie, Schätzchen, du weist doch, dass unser oberster Zunftmeister Helmut katholisch ist und jährlich nach England zur Wallfahrt und nach Österreich zum Beichten geht. Verzeih mir, ich werde dir nicht mehr verbieten die christlichen Bücher zu lesen und mich gleichfalls dem Johannis-Glauben und Jesus, dem größten Wunderheiler aller Zeiten, zuwenden. Komm mit nach Hause“, versuchte Wicked-Oz, seine Geschäfts- und Wohnungspartnerin umzustimmen. „Nein, ich schlafe ab jetzt hier. Dafür zieht der mordgefährdete Jonathan zur Sicherheit bei dir ein und unterweist dich in den Geistesgaben und anderen mystischen Geheimnissen des Alten Bundes und des Neuen Testaments. Ich verspreche dir, dass ich Jonathan nicht mehr unsittlich anrühre, bis ich mit ihm verheiratet bin. Solltest du es mit aller Kraft schaffen, in den nächsten 6 Monaten Exorzisten-Pfarrer zu werden und dadurch mehr Macht als Fischer ausüben, nehme ich dich doch, das gelobe ich dir!“, lautes Gelächter erschallte bei der Rednerin und dann bei ihren Verehrern. Die an der Tür lauschende Hilde, bekam jetzt, wie ursprünglich gewünscht ein „leichtes Mädchen“ als Untermieterin und alles schien in Butter zu sein. Jonathan packte seine sieben Sachen und steckte diese in den siebener BMW von Elymas, während dieser sich christliche Bücher, CDs und Predigtkasseten als Studienmaterial aus den Wohnregalen herauspickte. Eigentlich hätte er gerne Jonathans komplette Sammlung aus dem Charisma Shop mitgenommen, aber Magdalena, seine bessere Hälfte mit dem besonderen Dickkopf bestand darauf, dass ein Part der geistigen Lehrmaterialien bei ihr zurück bleiben muss. Der 5,7 Liter Motor aus dem Alpina B12 war ein grasses Kontrastprogramm zu Jonathans Vierzylinder-Twingo, den die Kripo zunächst als Asservat konfisziert hatte. Der Autoliebhaber bemerkte, dass alleine die vier 20 Zoll Aluräder mit den 275er Michelin Niederquerschnittsreifen teurer als sein Teile-Spar-Renault sein müssten, was später einige findige französische Werbemanager zu ähnlichen Bildvergleichen anspornte. Elymas spürte, dass der genügsam und bescheiden leben wollende Banker sehr angetan von seinem Oberklasse Wagen war und bot ihm, in seiner netten griechischen Art an, diesen bei Bedarf auszuleihen. Das Viertel in dem der Esoterikladen mit zugehörigen Wohnungen untergebracht war galt als Billigst-Mietgebiet, weil sich zahlreiche Bordelle und Bars in der Nachbarschaft befanden, die es für den Polterabend-Bräutigam zu meiden galt. Als die beiden neuen Freunde gerade die Sachen aus dem Auto packten, traf Jonathan auf ein paar alte, wartende Schachkumpels, die mit Elymas gerade in Preisverhandlungen traten, aber nach der Begrüßung mit Jonathan, schamvoll das Weite suchten. „Verdirb mir aber bitte nicht das Geschäft, indem du die Freier abschreckst. Wenn du willst zeige ich dir oben einige nette Damen mit denen du umsonst die Nacht verbringen kannst“, war das anrüchige Angebot des Edelzuhälters, auf das Jonathan nicht herein fiel: „Damit du morgen Magdalena gleich verrätst, dass ich nicht mehr Jungfrau bin, stimmts? Leihst du mir stattdessen die bajuwarische Karosse aus? Ich bin auf eine Nobelhochzeit eingeladen.“

 

Am nächsten Mittag zog Jonathan wohlweislich seinen Boss Kaschmir-Nadelstreifenanzug mit Fliege an und fuhr zurück in seine eigentliche Wohnung. Als die Sexbombe Magdalena wie gewohnt, hochtrabend mit ihren Stöckelschuhen, in das von Alpina aufgemöbelte Auto stieg und die fragenden Blicke der erstaunten Nachbarn auf sich zog, empfand der sonst so brave Bankberater das augenscheinliche Leben eines Zuhälters als gar nicht so übel. Mit dem folgenden Auftritt des neuen, Händchen haltenden High Society Paars hatte der vor dem Sakralbau der Birkacher Franziska-Kirche auf seine Braut wartende Martin Peter Anrich nicht gerechnet: „Mensch Jonathan, erst erscheinst du in der Boulevardpresse und jetzt kommst du mit so einer Traumfrau daher. Möchtest du mir sie nicht vorstellen?“ „Das ist meine neue Flamme Magdalena Osiris-Ra. Göttliche und berufliche Vorhersehung hat uns wie du sicher lesen konntest zusammengeführt. Eure kurze Rekordzeit bis zum Altar versuchen wir jedoch nicht zu schlagen. Hast du etwas dagegen, wenn Maggie zu den Feierlichkeiten mitkommt?“, fragte Jonathan seinen Ex-Reiseführer. Dieser konnte natürlich nicht nein sagen, denn dem Arzt war es sowieso peinlich, dass er Reinhild seinem Schützling ausgespannt hatte. Zudem fühlte sich der Chirurg mitverantwortlich für den Beckenbruch-Unfall während des Hongkong Urlaubs. Magdalena war fasziniert von Jonathans folgenden Reisebericht und schmunzelte über das Frontbild mit Reinhild und Martin Peter in chinesischen Bergtrachten auf der überreichten Programmliste. „Da habe ich ja noch mal Glück gehabt, dass deine Pläne mit dem Fotoshooting in die Hose gingen“, freute sich die Zukünftige. „Viel schöner ist es, sich mich mit dir ablichten zu lassen. Dann komme ich in allen Klatschspalten“, witzelte Jonathan beim Gang in die kleine evangelische Dorfkirche, die der katholische Herzog Karl Eugen 1779 für seine evangelische Maitresse Franziska Theresia bauen ließ.

Die Trauung führte überraschender Weise die am Vortag angereiste Albanienbekanntschaft Pastor Ulf Gouderner durch, der in Schweden die größte pietistische Brüdergemeinde leitete. Bei dieser Hochzeit brauchte an nichts gespart werden, da beide Elternpaare sehr vermögend waren. So wurden sämtliche geladenen Gäste mit Pferdefuhrwerken, nach einem kurzen Champagnerempfang für alle Gottesdienstbesucher, zum Schloss Hohenheim gefahren. Jonathan überredete den Kutscher einen Umweg zu machen und die fürstliche Baumallee hinunter zu fahren, um vom runden Aussichtspunkt gemeinsam mit seiner Angebeteten einen Blick auf die herrliche Parkanlage mit Teich zu nehmen. Die beiden Umarmenden standen auf der geschwungenen Mauer und atmeten förmlich die Kraft der Natur ein. „Die energiegeladene Aura hier, mit riesigen Bäumen aus allen Herren Länder ist einmalig, oder mein Hohepriester?“, fragte die ehemalige Hexenanführerin, deren Wiccakult sie an den keltischen Sabbaten gemeinsam mit ihrem Coven nackt unter den Jahrhunderte alten Bäumen herumtanzen ließ. „Das können wir ja mal bei Vollmond genauer austesten. Aber erst wenn wir verheiratet sind. Jetzt müssen wir zurück zu den Festlichkeiten“, spürte der wieder nüchterne und besonnene Fiktionsheld. Jonathans Tischkärtchen in der im Hohenheimer Schloss befindlichen Speisemeisterei befand sich zwischen Ulf Gouderner und den zwei blonden Tänzerinnen des Albanienurlaubs. Kurzerhand wurde für Magdalena vom Kellner ein Stuhl und weiteres Gedeck besorgt, damit sie sich an dem runden Tisch zwischen Ulf und Jonathan hinsetzen konnte. Das siebengängige Sternekoch-Menü, war das Köstlichste was sie je zu sich genommen hatten, waren sich die über ihren Urlaub angeregt Unterhaltenden einig. Das unschlagbare Duo Martin Öxle mit Fernsehkomiker Johann Lafer kreierten in den edlen Räumlichkeiten des Schlosses die vorzüglichsten Speisen. Der „Sinn des Lebens“ Prediger Ulf scherzte, ob die kurz vor dem Zerbersten Gemästeten nicht anschließend einen Wetttreppenlauf auf Webers Gourmetturm veranstalten sollten, bei dem der Verlierer den Gewinner zum Pfefferminzblatt-Diner einlädt. Jonathan erklärte dem Evangelikalen Dauerläufer, dass er durch den Besuch von Caesars Magical Empire gründlich geläutert wurde und keine Spielwetten mehr annimmt. Gouderner blödelte weiter und behauptete, er habe wie einige US-Magier und christliche Propheten gelernt Gedanken zu lesen und könnte wahrsagen. Die sich von diesen Praktiken lösen wollende Magdalena, tief in ihre geschockten Augen schauend, beruhigte er: „Machen sie sich um Frankenstein keine Sorgen, der ist bei seinen Eltern gut aufgehoben, aber hätte seinen Koffer mit dem Schicksalsbuch gerne wieder. Passen sie in Zukunft besser auf Jonathan auf und kommen sie ihm nicht zu nahe, sonst schlägt der Blitz in ihr gemeinsames Domizil ein“, sich zu Jonathan wendend fuhr er fort: „Du denkst du bist reich, bist zum Wohlstand gekommen und bedarfst nichts. Aber in Wahrheit bist du arm, nackt und blind. Darum kaufe durchs Feuer geläutertes Gold, weiße saubere Kleider und Augensalbe, um wieder zu sehen. Suche den Willen Gottes für jeden Tag und tue alles zu seiner Ehre!“ „Danke, das ist nichts neues für mich. Irgendwo habe ich das schon mal gehört. Kannst du dein Können sonst irgendwie unter Beweis stellen?“, wollte der verärgerte, zurecht gewiesene Schützling wissen. Ulf holte einen Zettel mit 20 Kindheitsfragen aus seiner Tasche, die er dem Zweifler anschließend alle erwidern könne. Die Punkte überfliegend spottete Jonathan, dass er jede Wette eingeht, dass Ulf die Fragen nicht beantworten kann. Gouderner schlug folgenden Handel vor: „Also wenn du verlierst gibst du mir lediglich die Rechte an deiner Biografie, und im Gegenzug lade ich dich in das Fernsehturm Restaurant und zu mir nach Schweden, inklusive Flugticket und Spesen, zum Predigen im Fernsehen ein.“ Die Sache fing an, für den gerne in der Öffentlichkeit stehenden neuen Medienstar, der Magdalena imponieren wollte, interessant zu werden. Jonathan las die Fragen genauer durch und bestimmte lachend, dass er seinen Lebenslauf schon bei drei richtigen Antworten zur Verfügung stellt. Die erste Eingabe lautete: Wo verbrachtest du am Liebsten Deine Ferien? Die Zweite: Wie heißt dein Lieblingslehrer? Und die Dritte: Mit welchem Notendurchschnitt hast du deine Schule abgeschlossen? Der Held der Fiktion, der sich nicht erklären konnte, was Gouderner mit seiner Lebensgeschichte vor hatte, schlug in das Geschäft ein und bekam überdies, zur Belustigung der Anwesenden, prompt alle zwanzig Fragen richtig beantwortet. „Das ist Zauberei und Hellseherei, hast du jetzt die Seiten gewechselt?“, wollte der verblüffte Jonathan wissen. Auch die mediale Magdalena, die für ihr Klientel extreme Vorhersagen und Prognosen erstelle, wurde sprachlos und wollte unbedingt selbst mitmachen. Aus bestimmten Gründen wollte Gouderner jedoch das Kuriosum nicht mit ihr wiederholen.

Da Zaubertricks nur so lange interessant sind, wie sie vorm Publikum verschleiert werden, vertröstete Ulf seine Zuhörer und versprach, den Gag bei Jonathans baldiger Hochzeitsfeier mit seiner Zukünftigen zu wiederholen und dann erst aufzulösen.

 

Der interessierte Leser soll nicht bis Kapitel 10 auf die Folter gespannt werden, denn die Auflösung ist einleuchtend: Die stark wachsende Kirche von Ulf in Schweden wurde neuerdings von einem Schulfreund von Jonathan besucht. Walter Stein arbeitete schon lange Zeit als Physiker in dem skandinavischen Land und hatte sich nicht nur die Landessprache, sondern auch eine einheimische Frau und vier Kinder zugeeignet. Sein neuestes Hobby war neben dem wieder entdeckten christlichen Glauben, das Schreiben von Fantasy-Romanen. Deshalb ersann er mit dem von ihm aufgestellten Fragenkatalog einen erfolgreichen Streich, um sich gemeinsam mit Gouderner, Jonathan Fischers unglaubliche Lebensgeschichte zu angeln. Eine weitere menschliche und nicht übernatürliche Informationsquelle war Frank Stein, der eine Nacht zuvor nach seinem Rausschmiss in die elterliche Salute-Wohnung in den Fasanenhof zurückkehrte. Seit langem war der, wie Tod Bentley von Kopf bis Fuß mit Kriegern und dämonischen Symbolen tätowierte, wieder nüchtern und traute sich deshalb nach Hause. Dort traf er zufällig auf den von seinem Zwillingsbruder vermittelten Übernachtungsgast Gouderner und tauschte sich stundenlang über Walter, Jonathan und Maggie aus.

Die alkoholisierten Hochzeitsgäste ließen zur Freude von Magdalena und Jonathan die Puppen tanzen und feierten gemeinsam bis zum nächsten Morgen. Das von dem SWR Big Band Tanzorchester begleitete exklusive Fest mit zahlreichen prominenten Gästen bot weiter ein unterhaltsames wohltätiges Programm. Denn der eine Aids-Stiftung gründende Papa Bernd Scheu war nicht nur erfolgreicher Dosen-Unternehmer, sondern auch Spesen und Sitzungsgeld einsammelnder Stuttgarter Gemeinderat. Seine braungebrannte Frau Sonja engagierte sich neuerdings für Jürgen Klinsmann und half als Lehrerin ehrenamtlich im Agapedia Kinderhaus in Esslingen mit. So nimmt es nicht Wunder, dass die Negerküsse liebende Mutter des Bräutigams, Sabine Anrich, eine Tombola für ein karitatives Projekt in einem Elendsviertel in Südafrika eröffnete, und ihr durch die Show führender Ehegatte Professor Peter-Christoph als Chef der Freiburger Sportklinik für das JAM Ernährungsprogramm warb. Der vom Telekom Team anhand von T-Mobile Handys ermittelte Benefiz-Erlös hätte zur Begleichung des Diablo-Schadens gereicht, und etwa die gleiche Summe verschlangen die leistungssteigernden Bewirtungskosten, sinnierte der radfahrende Geldexperte vor dem Einschlafen in der neu bezogenen Dachgeschosswohnung im Rotlichtviertel.

 

Endlich einmal wieder Ausschlafen, lautete Jonathans Motto für Sonntag, doch daraus wurde leider nichts. Elymas kam um 9.30 Uhr in sein Zimmer und rüttelte ihn wach: „Hey Meister, heute ist Gottesdienstpflicht. Besuchen wir meine mütterliche Verwandtschaft in Maria Verkündigung, der größten griechisch orthodoxen Basilika in Deutschland, oder weißt du etwas besseres?“ „Eigentlich bin ich kein Fan von Statuen, Ikonen und Heiligenbildern. Außerdem kommt es nicht auf die Höhe des Kirchturms oder die Größe des Altarraums, sondern auf die Güte der Botschaft und die Schönheit des Gesangs an. Wir gehen in die nächst gelegene Kirche und dann schlafe ich weiter, basta“, war der pragmatische Vorschlag von Jonathan. Ein paar hundert Meter weiter lag die historische Leonhardskirche, deren Glockenturm den Gottesdienst ankündigte. Als Jonathan mit Elymas vorsichtshalber in der letzten Reihe Platz nahm, um besser nicht mit ihm erkannt zu werden, traute er seinen Augen nicht. Der vielgeliebte Georg Müller leitete die Evangelische Messe und begann die Bergpredigt auszulegen. An seinen wohlwollenden Blicken von der Kanzel spürte Jonathan, dass er ihn erkannt hatte. Elymas nahm einen Notizblock und schrieb die Predigt mit. Als Jonathan seinem Mitbewohner erzählte, dass er den Pfarrer seit der Leichtathletik WM 1993 kenne, wollte dieser unbedingt vorgestellt werden und lief am Ende mit ihm nach vorne. „Hallo Jonathan, schön dich wieder zu sehen. Wie geht es dir? Trachtest du zuerst nach dem Reich Gottes? Hast du deine Traumfrau gefunden?“, erkundigte sich der Seelsorger. „Wenn man von Unfällen und Mordanschlägen absieht geht es mir bestens. Das Reich Gottes ist mir unbegreiflich und die Zukünftige ist mir gerade erst begegnet“, antwortete er, ehe Elymas ins Wort fiel: „Herr Pfarrer dieses Individuum hat mir meine Verlobte ausgespannt. Bitte kommen sie mit zum Mittagessen, und ich werde ihnen alles berichten.“ „Stimmt das Jonathan? Wirklich, dann gehe ich mit“, sprach der allzeit zum Dienst Bereite und begleitete die Zwei in ihre Dachgeschosswohnung. Jonathan berichtete von seiner Chinareise, von den beruflichen Höhenflügen und über das Zusammentreffen mit Magdalena. Erstaunt empfahl der Geistliche: „Hast du schon mal überlegt deine Story zu veröffentlichen? Das könnte ein Bestseller werden.“ Dem seiner verflossenen Liebe nachtrauernden Elymas empfahl er den geistlichen Wettkampf anzunehmen, schließlich wäre es ja die freie Entscheidung Magdalenas, wen sie heiraten will. „Gut, dann habe ich gleich ein paar Fragen. Was ist arm sein vor Gott? Wie soll ich das verstehen, dass ich nicht Gott und dem Mammon dienen kann? Muss ich jetzt mein ganzes Hab und Gut verkaufen? Wie befreie ich mich in von meiner okkulten Geheimverbindung, bei deren Aufnahme ich unerlaubterweise bei meinem Leben geschworen habe, nichts zu verraten oder nur bei meinem Tod wieder auszuscheiden? Wie löse ich mich vom Baphomet-Satan mit dem ich mich mit meinem Blut verschrieben habe?“, lauteten die berechtigten Fragen des Zauberers und Zuhälters. „Eins nach dem anderen. Zunächst einmal müssen sie von neuem geboren werden, indem sie Buße für ihre begangenen Sünden tun und den Herrn Jesus Christus in ihr Leben aufnehmen. Jonathan ich schlage vor du gehst in dein Zimmer, damit wir beide ungestört sind, wenn ich die Lebensbeichte abnehme.“ Dieser Wicked-Oz musste wohl einiges auf dem Kerbholz haben, denn es dauerte drei Stunden, bis der das ersehnte Nickerchen machende Jonathan wieder ins Wohnzimmer gerufen wurde. Georg und Elymas waren schweißgebadet und ausgepowert, wie nach einem Marathonlauf. Das Telefon läutete. Die umschwärmte Magdalena meldete sich, um Jonathan zu sprechen. Elymas erzählte ihr von seiner wunderbaren Lebensbereinigung, die ihm übersinnliche Gefühle gebe. Er behauptete, dass ihm gerade zwei Engel namens Swift und Emma-O begegnet wären, die ihn an himmlische Orte entführt hätten. Georg Müller mahnte zur Vorsicht, denn er bezweifelte, ob diese Erscheinungen wirklich von Gott kamen. Magdalena wollte sofort herbei eilen, damit Pastor Müller für sie für ähnliche Offenbarungen betet. Es wurde ein gemeinsamer Termin in der Pfarrei für den nächsten Nachmittag vereinbart, da sich Georg kraftlos fühlte und aus Sicherheits- und Sittlichkeitsgründen seine Ehefrau Christa mit dabei haben wollte.

Elymas und Jonathan behagte überhaupt nicht, als sie erfuhren, dass Frankenstein in die Wohnung in der Schloßstraße zurückgekehrt war, um sein Schicksalsbuch zu holen. Viel schlimmer war die Ankündigung von Maggie am Telefon, dass Frankenstein bei ihr verweilen sollte, um als Goldtransporteur mitzuhelfen. Am nächsten Tag beabsichtigte sie, bei Scharkfisch den 33 Stück Einkilogramm Barren Kauf aufgrund ihres zweiwöchigen Rücktrittrechts zu stornieren. Jonathan standen die Haare nicht nur wegen ihres übersteigerten Rechtsverständnisses zu Berge. Durch die Mithilfe des evangelischen Pfarrers konnte er immerhin erreichen, dass Frankenstein bei Oma Hilde im Gästezimmer der oberen Wohnung nächtigt.

 

Am darauf folgenden Montag ging bei einigen Menschen die Welt unter. Zunächst konnte Maggie überhaupt nicht verstehen, warum Gebhart Scharkfisch nicht bereit war das Gold zurück zu nehmen. Selbst der Ankauf zum 4 Prozent schlechteren Kurs wurde von der Bankspitze abgelehnt. Ob es an ihrem kein Vertrauen einflößenden, tätowierten, glatzköpfigen Begleiter Frankenstein lag, oder an ihrem weniger dominanten christlicheren Auftreten, wusste sie nicht zu erklären. Der sich vor weiteren Mordanschlägen versteckende Jonathan wunderte sich überhaupt nicht, als zum Mittagessen die frustrierte Magdalena und der enttäuschte Frank Stein mit ihrem schweren Gepäck in der Dachgeschosswohnung des Edel-Ethos-Centers ankamen. Als er die wertvolle Ladung genauer inspizierte zeigte sich der Münzexperte nichtsdestoweniger überrascht. Normalerweise hätte es sich hier um für gewöhnlich von der Genossenschaftlichen Zentralbank gelieferte Degussa 999,9 Feingoldbarren handeln müssen. Doch die auf das glänzende Metall gedruckte runde Prägung lautete auf die Südafrikanische Firma Rand Refinery LtD. Was tun? Magdalena schickte versuchsweise Frankenstein zum Umtausch eines Kilogramm Goldbarren zur Landesbank und nahm gleichzeitig ihren Seelsorgetermin wahr. Jonathan studierte in der Zeit die für ihn mitgebrachte Hauspost. Erstaunlicherweise entdeckte er eine Computer-DVD in einem anonymen Brief. Der neugierige Elymas half ihm die Daten zu entpacken und interessierte sich zunächst nicht für die zahlreichen Bankbelege. Jonathan traute beim Durchforschen seinen Augen nicht. Durch die verdeckten Ein- und Auszahlungen, sowie der SWIFT-Auslandsüberweisungen in die Schweiz, die sämtlich von Maria Müller-Kempe unterschieben waren, konnte er einen Riesen-Schwindel an Provisionszahlungen für Scharkfisch und Kempe erkennen. Der frühere Kassierer Jonathan wurde noch aufgeregter, als er die von Gebhart Scharkfisch und Max-Moritz Straussinger unterzeichneten Belege des Parteikontos untersuchte. Wurden hier nicht Stiftungsgelder aus Liechtenstein für Straussingers Wahlkampf zweckentfremdet? Flossen dabei nicht Millionen hohe Barauszahlungen in die eigenen Taschen? Das Telefon klingelte. Frankenstein bettelte, ob Jonathan zur gegenüber liegenden Polizeiwache kommen könnte, da er soeben festgenommen worden wäre. Die misstrauischen Landesbänker hatten entdeckt, dass das Gold magnetisch ist, und es sich lediglich um eine legierte Metallplatte handelte. Der zur Aufklärung am Telefon befragte Scharkfisch schwor bei seinem Leben, er hätte das südafrikanische Falschgold nicht für Frank Stein beschafft. Er könne bestimmt nichts dafür, das nicht alles Gold ist was glänzt. Somit reiste der gelackmeierte Steinbruder nicht zum Besuch von Verwandten nach Schweden, sondern zu befreundeten Gangmitgliedern hinter schwedische Gardinen. Jonathan konnte und wollte im Moment nichts zu seiner Entlastung beitragen, denn zunächst musste er im Edel-Ethos-Center Kriegsrat halten.

 

Die zurückkehrende Magdalena schien wie von Sinnen zu sein, denn sie schwärmte, dass der Himmel wundervoll blau wäre und die Vögel unbeschreiblich schön zwitscherten, seit dem sie ihre Schuld vor Georg und Christa bekannt hatte. Als sie hörte, wie sie durch den Golddeal um ihr Vermögen gebracht wurde, war sie schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen angelangt. Sie bekam einen Schrei- und Tobsuchtsanfall, in dem sie einen Todesfluch auf Scharkfisch legte. In ihrer Naivität hatte sie nicht einmal einen Bankquittung für den Goldtausch gefordert, sondern lediglich selbst unterschrieben, das fürs Gold eingesetzte Bargeld von dem Treuhandkonto in Empfang genommen zu haben. „Dann schaut mal was ich hier habe“, freute sich Jonathan, der den PC abermals startete. „Dieses Bankchinesisch verstehen wir nicht. Erkläre uns bitte, was die Daten und Belege aussagen“, wünschte Elymas zu erfahren, dem gleich danach eine scheinbar gute Idee kam. Er wollte nicht zur Polizei gehen, sondern Scharkfisch, Kempe und Straussinger erpressen und so zum Millionär werden. „Nein, ehrlich wärt am längsten. Wir übergeben die Daten-Disk der Staatsanwaltschaft“, meinte Jonathan. „Bekomme ich dann mein Geld zurück?“, wollte Magdalena wissen. „Ja, wenn Scharkfisch es noch nicht ausgegeben oder verhurt hat“, war der scherzhafte Kommentar des Anlageberaters, den seine Gesprächspartner weniger passend fanden.

Jonathan dachte, seinen Schulkameraden Frank schnell wieder aus der Untersuchungshaft herauszubekommen, als er die brisante Beweissammlung vorsichtshalber gemeinsam mit Elymas selbst beim Stuttgarter Oberstaatsanwalt Ratzinger abgab. Dieser meinte jedoch, dass die Daten alle gefälscht sein könnten und Jonathan doch nicht im Ernst hoffen würde, er könne so mir nichts dir nichts, den ehrenwerten, über alle Zweifel erhabenen Justizminister, den wohltätigen, bewährten Herrn Immo-Professor und den rechtmäßig über ihn gesetzten Bankdirektor, dessen Posten er nur begehre, vom Sockel stoßen. Beim Verabschieden wunderte sich Jonathan über die Art des Handschlags von Wicked-Oz und Ratzinger. Später erkannte er den gleichen Händedruck bei dem der katholischen Kirche beitretenden britischen Premierminister.

Das war eine Lehre für den Glaubenshelden, die ihn daran erinnerte, dass man sich nicht auf Menschen verlassen darf und Gerechtigkeit oft erst durch das letzte Gericht Gottes, des Richters der Menschheit gewirkt wird.

 

Für Scharkfisch, der zwar die Wahrheit gesagt hatte, aber trotzdem log, war die Apokalypse angebrochen. Der unerreichbare Professor Kempe hatte sich in seine Ferienvilla nach Sizilien abgesetzt und gab durch den Mittelsmann Max-Moritz zu verstehen, dass er bei dem südafrikanischen Golddeal mit der äthiopischen Mafia selbst übers Ohr gehauen worden wäre und nichts mehr ändern oder wiedergutmachen könnte. Viel schlimmer für Scharkfisch wirkte sich jedoch aus, dass das Schatzmeisterpendant Straussinger von einer unbekannten Person, die Zugang zu hochexplosiven Bankdaten haben musste, wegen illegaler Parteispenden und Waffengeschäften anonym erpresst wurde. Dieser mutmaßte, dass es sich dabei um Jonathan Fischer handelte, der es gewagt hatte, ihn bei ihrem gemeinsamen Partei- und Logenfreund Ratzinger anzuzeigen. Es könne aber noch viel schlimmer kommen, weil der Verräter in den eigenen Reihen stecken könnte, da auf dem Ausbeuterschreiben das Logo des Veritas-Geheimbundes aufgetaucht war. Wenn Gebhart nicht innerhalb von einem Tag, dafür Sorge trägt, dass der Erpresser zum Schweigen gebracht wird, könnte es ihn den eigenen Kopf kosten. Äußerste Panik machte sich bei Scharkfisch breit, der abermals Jagd auf Fischer machte. Der paranoide Schizophrene setzte sich in der Nacht vor Jonathans Wohnung auf die Lauer, um ihn beim Erscheinen seiner Silhouette zu liquidieren. Diesmal zerstörte der zitternde Kunstschütze mit dem von Straussinger beschafften G22 Gewehr zur Abwechslung die Fensterscheibe von Jonathans Schlafzimmer und versetzte damit der laut, wie am Spieß schreienden Magdalena Osiris-Ra den Schreck ihres Lebens. Glück im Unglück für sie war, dass sie lediglich einen Streifschuss am Gesäß ab bekam. Scharkfisch erkannte an ihrem lauten Gequike, dass er das falsche Opfer ausgewählt hatte und suchte das Weite. Die sofort eingeleitete Hubschrauberfahndung nach einem weißen Mercedes brachte ihn jedoch schnell in den Stammheimer Hochsicherheitstrakt. Frankenstein, der in der Nachbarzelle herbergte, kündigte bei seiner Einlieferung an, Scharkfisch an den Angelhaken zu nehmen, sobald er ihn beim Freigang in die Finger bekommt. Und in der Tat lebte Scharkfisch nur noch wenige Stunden. Wie von unsichtbarer Hand gesteuert öffneten sich in der Nacht die beiden Stahltüren, so dass der wütende Frankenstein in Sekundenschnelle begann, seinen Mitinsassen in der Nachbarzelle in seinen Händen zu wiegen und dessen Kopf abwechselnd in ein mit Wasser befülltes Waschbecken unterzutauchen. Der verängstigte katholische Fürst Gebhart flehte um Gnade und begann, eine durch die Folter erzwungene Beichte seiner Schandtaten vor dem ihn bedrohenden Taufpaten abzulegen. Er beruhigte Frankenstein, dem er viel Geld und Macht versprach, mit zahlreichen unglaublichen Mysterien aus seiner Freimaurerloge. Der Geheimnisverräter berichtete von gescheiterten U-Boot Lieferungen und deren wahren tödlichen Folgen, von geglückten Fuchs Spürpanzerlieferungen und deren finanzielle Segnungen, von erfolgreich verschobenen Ölraffinerien und anderen Milliardengeschäften bei denen er und seine Bundesbrüder mitgewirkt hatten. Der immer größeren Unfrieden verspürende Gebhart fühlte, dass seine Lebensuhr ablief, und es an der Zeit war, ein Schuldbekenntnis abzulegen. Darum drängte es ihn, bei dem Beichtvater Frankenstein Buße zu tun, für seine vielen Sünden. Er entschuldigte sich für den Goldbetrug und viele weitere Verstöße gegen die zehn Gebote. Gewiss würde er versuchen, das Unrecht bei all den geschädigten Menschen wieder gut zu machen. Er bat Gott um Vergebung für seine Vergehen, damit dieser seinen Geist schneller annimmt, und er nicht zu lange im Fegefeuer geläutert werden muss. „Um aus dem Fegefeuer herauszukommen musst du schon sieben Milliarden Rosenkränze beten und mir siebzig Milliarden Lire als Ablasszahlung leisten“, scherzte Pater Stein, ehe er von ununiformierten ininformierten Agenten, die das Gespräch, wo auch immer, abgehört hatten, jäh unterbrochen und zum Trost, durch ein Quantum Ofsolacecyclobarbital betäubt, zurück in sein 007-Zahlen-Verließ verfrachtet wurde.

 

Am nächsten Morgen fanden die James Bond Möchtegern-Geheimdienstler nicht Frankenstein ermordet, sondern Scharkfisch tot in seiner Zelle vor. Laut Presseberichten hatte er eine Überdosis Digitalis eingenommen, die in einem schwarz-goldenen Siegelring versteckt war. „Komisch, trug er überhaupt so einen Ring, und wie konnte er so schnell obduziert werden?“, fragte Jonathan den aufmerksamen Elymas, der gerade an einem ähnlichen Exemplar an seinem Finger spielte, als beide im Frühstücksfernsehen davon erfuhren.

Von größerer Bedeutung war für den keine Antwort erhaltenden Fischer und den illuminierten Gentleman Wicked-Oz, die im Marienhospital auf dem Bauch liegende, verletzte und angebetete Maggie, mit der Jonathan aufgrund seines Versteckspiels viel zu wenig Zeit verbringen konnte. Die beiden Verehrer und neuen Freunde besuchten und trösteten sie gemeinsam. Jonathan hielt rechts am Bett das Händchen und Elymas links. Das kam dem Kriminalkommissar Sherlock Colombo gerade recht, der zum Verhör von Magdalena ins Krankenzimmer eingetreten war. Nach mehreren Fragen an die Anwesenden war für den Querdenker der Fall gelöst. Der tote Scharkfisch war nicht nur für ihn der mehrmalige Bösewicht. So riss es niemand vom Hocker, als ausgerechnet der Oberstaatsanwalt Johannes Ratzinger den aufgedeckten Goldskandal publik machte und alle Übeltaten, der sich nicht wehren könnenden, in Windeseile eingeäscherten Leiche, angekreidet wurden. Der mitwissende Aufsichtsratsvorsitzende der Bank, Professor Karl Kempe kehrte nach ein paar weiteren hoch bezahlter Gehirnwäschen von seinem Cefalu-Sizilienurlaub zurück, weil sein Stuhl nicht mehr wackelte. Zum Ärger von Jonathan setzte „Karl der Große“ im Aufsichtsratsgremium der Volksbank Denkenstadt eG einen von extern kommenden, rotarierenden Vorstandsvorsitzenden durch. Dies war für Insider abermals der Beweis dafür, dass Beziehungen bei der Vergabe von Spitzenämtern wichtiger sind, als Abschlüsse, Fähigkeiten oder Begabungen. Tatsächlich herrschte nach dem Wechsel nur kurzer Frieden in dem in die Schlagzeilen geratenen Raiffeisen-Laden. Nächtliche Einbrecher mit Schlüsselgewalt entwendeten die im feuersicheren Tresor befindlichen, auf Mikrofiche verfilmten Buchungsvorgänge aus den letzten sechs Jahren und steckten die im Keller befindliche Papier-Registratur mit Material aus zehn Jahren so gekonnt in Brand, dass das historische Fachwerkgebäude auf der Stelle in Staub und Asche lag. Nichts desto trotz bekam die betrogene Magdalena ihr verlorenes Geld in zweifacher Form von der vorübergehend in Container auf dem Parkplatz hausenden Volksbank zurück. Die geschickte Personalleiterin Octopussy sorgte neben der Goldrückerstattung zusätzlich dafür, dass die Berufsgenossenschaft den Schaden an dem Lamborghini und dem Opel bezahlte, da es sich um einen Betriebsunfall Fischers handelte. Somit bekam Magdalena 666.000,- DM für ihr Gold, Elymas 514.000,- DM für den Lamborghini und Jonathan 32.500,- DM für seinen Vectra aufs Konto.

 

Jonathan bezog wieder seine Wohnung in Denkenstadt, weil er sich um Aaron, sein Frettchen, kümmern musste. Denn der Hauswirt Elymas weigerte sich, das ungeliebte Tier in der Dachgeschoßwohnung des Leonhardsviertel aufzunehmen, da er ohnehin Hänsel und Gretel, das rallige schwarze Katzenpärchen der weißen Hexe, versorgen musste. Der entlastete und befreite Frankenstein durfte für eine Zeit das dritte Zimmer in der Schloßstraße beziehen, und wenn man davon absieht, dass die genesende Magdalena bald wieder in ihrem Rotlichtviertel-Betrieb arbeitete und wohnte, schien alles bestens für Jonathan zu laufen. Maggie, die Domina, verwies zunächst Elymas angestellte Haushaltssklavinnen, die sowieso keinen Arbeitsvertrag hatten, des Feldes und nahm für sich die erste Etage des Edel-Ethos-Centers in Anspruch. Elymas baute seine Dachgeschosswohnung in eine Praxis für christozentrisches Heilen um. Der Esoterikladen im Erdgeschoß begann mit der Alpha Buchhandlung zu kooperieren und verkaufte bevorzugt Bücher vom Johannis-Verlag. Passend zu dieser Situation bekam Magdalena oder besser gesagt Elymas eine powervolle gewichtige Idee. Sie wollten eine 33 Kilogramm schwere Goldpyramide zum Gedenken an Ramses Ra und Lore Osiris fabrizieren lassen. Diese würde dann in einem Kristalltresor im Ladengeschäft ausgestellt werden, um noch mehr Kunden anzulocken. Die Pyramide sollte ein abnehmbares Auge mit einem riesigen Diamanten an der Spitze haben und in etwa so aussehen, wie das Spielzeug, das George Herbert Walker Bush (Senior) für George Walker Bush (Junior) anfertigen ließ. Elymas präsentierte dazu ein älteres Foto, das die Präsidenten im Schlafzimmerbett mit der Spielzeugpyramide hantierend zeigte. Der Grabeskammerverwalter Jonathan konzentrierte sich angespannt und ließ nach einem weiteren Geistesblitz seine Beziehungen spielen. Aus dem Kaufvertrag seines Mercedes an einen Pforzheimer Goldschmied, fand er sofort die richtige Adresse für die Beschaffung und Herstellung. Das einzige Manko war, dass das Kunstobjekt aus dem historisch günstigen polnischen Gold, von ihres Gebisses und Schmuckes beraubter Seelen gegossen und geschmiedet werden sollte. Das begeisterte den die Hälfte der Kosten übernehmenden Wicked-Oz umso mehr, und Maggie konnte wegen dem unschlagbaren Angebot der unmoralischen Versuchung ebenfalls nicht widerstehen. Gold und Geld stinken nicht und haben ihre Faszination im Verlauf der Jahrtausende nicht eingebüßt. Der Schein trog ebenso nicht, denn die magische Gold-Pyramide schien eine noch stärkere Kraft auszustrahlen, als das zerstörte Immobilienobjekt am Stuttgarter Trümmerberg. So war der Besucherzustrom im Edel-Ethos-Center genauso stark, wie bei der neuen Ausstellung mit metaphysischen Bildern von Caspar-David Friedrich in der Stuttgarter Staatsgallerie.

 

Jonathan konnte sich vor Arbeit kaum mehr retten, denn der Kundenandrang in der Park-Haus Bankfiliale war aufgrund der Brandkatastrophe in der Denkenstadter Hauptstelle gleichfalls enorm angewachsen. Dadurch bedingt und durch die Androhung der eigenen Kündigung setzte er bei seinem neuen Chef Rolf Schafpelz durch, dass die elektronische BGG Bankkontakt-Geschäftspartner-Guthabenauswertung abgeschafft wurde. Durch die Verbannung des Kontrollsystems mussten seine entlasteten Mitarbeiter nicht mehr monatlich Rechenschaft über ihre Geschäftsabschlüsse ablegen. Trotzdem war der Druck auf Jonathan weiterhin so stark wie noch nie, weshalb der Workoholic in seinen kurzen Schlaferholungsphasen spürte, wie er kurz davor war, einen Burnout zu erleiden. Als er Georg Müller von seinem Arbeitspensum erzählte, empfahl ihm dieser seine Ämter als Fraktionsvorsitzender des Gemeinderats und Verwalter der Grabesstiftung niederzulegen. Wahre Demut – Dienstbereitschaft – würde im Einsatz für die Armen offenkundig werden, und nicht im Reden schwingen, vor Beifall spendenden Totengebeinen. Deshalb solle er sich lieber am Bau von Gottes Reich beteiligen, indem er an den Wochenenden in die gesegnete Arbeit der Diakonie einsteigt. Außerdem wäre es besser, wenn er die Finger von der sündigen Magdalena lässt, da diese wieder voll in ihre alten Gewohnheiten abgedriftet wäre. Diese Vorschläge gefielen dem Scheinheiligen überhaupt nicht. Dieser missionierende Pfarrer konnte leicht reden, schließlich verdiente er lange nicht so viel Geld wie er selbst. Der Ratsuchende wurde besonders verstimmt über die zitierte Bibelstelle, der Mensch hätte keinen Nutzen, wenn er die Welt gewinnt, aber sich selbst verliert und Schaden an seiner Seele nimmt. Sollte das heißen Jonathan wäre nicht auf dem richtigen Weg? Und dann wollte der Pfaffe, dass er sich über das Sabbat Gebot hinweg setzt und am Sonntag in der Vesperkirche Essen austeilt. Jonathan musste seinem Ärger laut Raum geben, indem er Frankenstein von dem gesetzesbrechenden Vorschlag erzählte. Damit war er jedoch an den Falschen geraten, denn Frank Stein hatte großen Gefallen daran, selbst in der Leonhardskirche mitzuarbeiten, schließlich hatte er jahrelang von dem Spitzenservice für Bedürftige profitiert. Der versnobte Banker wäre nur hochmütig und würde auf die Obdachlosen verachtungsvoll herab blicken, sonst würde er mit ihm mitkommen. Zunächst einmal fuhren die beiden wirklich mit dem Twingo an seinen Tippelbrüdern am Leonhardsplatz vorbei, jedoch nur um Magdalena zum Jesus-Treff im Gospel Forum abzuholen. Jonathan wäre viel lieber gewesen, wenn er wie in der Werbung als Adam und Eva alleine in dem engen Verführungsgefährt gesessen wäre. Statt dessen überzeugte der listige Schlangen-Teufel auf der verrückten Rücksitzbank das Weib Magdalena davon, als Früchteausteilerin für die zwischen modernen Konsumtempeln und dem Straßenstrich liegende Vesperkirche mitzuwirken.

 

Bedingt durch die sakrale Rockmusik der Beat Generation Band regte sich der Händchen haltende Liebhaber wieder ab, obwohl sich die Atmosphäre unter den 3.000 Zuhörern durch die packenden Beats weiter aufheizte. Wie schön es ist, endlich einmal wieder in die Gegenwart Gottes einzutauchen, dachte sich der seine Arme nach oben erhebende Jonathan, bei einem ruhigeren abschließenden Stehbluesstück der „Normal Betrieb“ Jugendlobpreisband zum Mitsingen. Der Missionar, der nach Europa kam, in Form des Gastredners David Diao, betrat die Bühne. Himmelsbürger Diao begann wiederum seine unglaubliche Lebensgeschichte zu erzählen und warb für seine neu gegründete „Schau auf Jesus“ Gemeinde. Jonathan genoss das Wiedersehen mit Vera und David, die ihn vor der Bühne herzlich umarmten, während viele andere Besucher Schlange standen, um ebenfalls einen Plausch zu halten und eine schriftliche Einladung für die Sonntagsgottesdienste zu bekommen. Doch erst wollte der Auserwählte seine abseits stehende Herzallerliebste Magdalena mit dem Diao-Pastorenehepaar bekannt machen: „Das ist mein neuer Sonnenschein Magdalena Osiris-Ra, mit der mich der Herr fest zusammen geschweißt hat.“ „Dann pass gut auf, dass du dich an der fruchtbaren Ägyptischen Heliosgöttin nicht verbrennst. Wissen sie schon, dass Jesus für sie gestorben ist?“, fragte die skeptische Vera, sich an die wenig erfreute Busenfreundin wendend. „Mädchen, für mich sind schon viele Männer in den Tod gegangen. Du brauchst dir auf deinen beinahe ermordeten Wundermann nichts einbilden und wirst sehen, wenn ich etwas anpacke, dann aber richtig. Stimmt´s Jonathan?“ Der an Diablo- und Reiki-Zusammentreffen Erinnerte löste wohlweislich die Unterhaltung auf: „Ja ganz gewiss. Du bist die Allerallerbeste, liebste Maggie. Komm, wir wollen die anderen Leute nicht weiter warten lassen.“

Zum Glück kam gerade Markus Ruf angelaufen, der Jonathan auf die Schulter klopfte: „Endlich sehe ich dich wieder hier. Wurde auch Zeit. Sag mal bist du vom Glauben abgefallen?“ „Gibt es heute Abend nur witzige Bemerkungen, die ich überhaupt nicht komisch finde? Durch mich hat sich Maggie, Elymas und Frankenstein bekehrt. Sieht denn niemand was für ein toller Evangelist ich bin?“, wollte Jonathan spöttisch wissen. „Moment mal, den Ruf Gottes, habe ich durch Markus, den katholischen Kirchendiener verspürt. Jesu Liebe drückt sich nämlich zuallererst durch die Armenspeisung aus“, befand Frank Stein und der ebenfalls hinzu gekommene Wicked-Oz bekannte: „Und ich folge der kosmischen Lebenskraft, um mehr Macht zu bekommen und Maggie zu imponieren.“ „Und ich habe Jesus Christus als persönlichen Heiland angenommen, nachdem mir Müllers sieben unreine Geister ausgetrieben haben“, bezeugte Magdalena. „Ja und die sind alle nach einer viertel Stunde mit ein paar zusätzlichen Kumpanen in dein Haus zurückgekommen“, war die zweistimmige theologische Erkenntnis vom grinsenden Wicked-Oz und verhöhnenden Frankenstein. Das war des Guten zu viel. Das Treffen löste sich auf. Im Rotlichtviertel gab Jonathan Magdalena zur Posse den letzten minutenlangen Zungenkuss, was den hinten sitzenden Frankenstein vor Eifersucht zur Weissglut reizte. Doch bei dem Dreitürer gab es außer der Heckklappe keine Möglichkeit durch die das tobende Biest hätte entfliehen können.

Der rechtzeitig in seinem BMW ankommende Ersthelfer Elymas schritt durch wilde Odin-Schreie Frankensteins alarmiert zur Tat und öffnete die Beifahrertür: „Nennst du das lediglich Händchenhalten? Nun komm heraus. Halte dich an die Abmachungen. Ich habe noch fünf Monate Zeit.“

 

Jonathan hätte nie gedacht, dass er in dieser Nacht Magdalena verlieren würde. Weniger Verwunderung würde sich bei ihm auslösen, falls der die Ruhe störende Frankenstein sein Heim verlässt. Dieser Nervtöter legte nämlich bei der Rückkehr in die gemeinsame Behausung eine geheime Videocassette ein, die ihm Elymas Wicked-Oz zugespielt hatte. Darauf befanden sich die versautesten Aufnahmen, die man sich nur vorstellen kann. Jonathan hatte sich längst abgewöhnt pornographische Filme anzuschauen. Er fühlte sich viel besser dabei, wenn er seine tierischen Triebe kontrollierte, anstelle sich von diesen beherrschen zu lassen. Deshalb machte er sich vom Schlafzimmer auf den Weg zum Fernseher, um das Gestöhne abzustellen. Dann traute er seinen Augen nicht. Hier handelte es sich nicht um Porno-Darsteller, sondern um Max-Moritz Straussinger und Karl Kempe, die sich gefesselt abwechselnd von einer befehlenden Domina auspeitschen ließen. Frankenstein hatte wie diese die höchsten Sadomachismus-Lustgefühle, als er die schmerzvollen Abläufe verfolgte. Kann es so etwas unter zivilisierten Menschen geben? Die beiden Verbündeten ließen sich als Adolf Hitler und Benito Mussolini verkleiden und spielten ihren eigenen qualvollen Untergang nach. Den Motorsport Fan wird dies weniger erstaunen, da solche Dinge von anderen bekannten Verbandsbossen unlängst in die Öffentlichkeit gedrungen sind. „Was könnte passieren, wenn die kompromittierenden Aufnahmen an Pressevertreter verkauft werden?“, erkundigte sich Jonathan. „Das wäre dumm. Elymas hat viel mehr Macht, wenn er die Kopien an die stupiden Sex-Masochisten schickt und sie erpresst“, meinte Frankenstein und fuhr fort: „Was denkst du, wie er über dich die Kontrolle gewinnt, wenn du mit Sado-Maso-Maggie verheiratet bist.“ „Sprich nicht so über sie, sonst fliegst du raus“, ärgerte sich Jonathan. „Hast du denn nicht erkannt, dass sie die heimlich aufgezeichnete Taktgeberin im Video ist?“, fragte Frankenstein. „Nein, das kaufe ich dir nicht ab. Diese schwarz maskierte Latex-Corsage-Trägerin hat zwar eine gleich geartete Oberweite, ist aber bestimmt nicht Maggie“, hoffte Jonathan. „Es ist ja richtig, wenn du auf das Gute im Menschen zählst, aber Leute die in Armut leben, und wie ich auf der Straße gelandet sind, kennen das wahre, schmerzhafte, bittere Leben“, behauptete Frankenstein, der das Band vorspulte. Die nächste Szene spielte sich bei Vollmond auf einem Gräberfeld ab und wurde von einem Baum herunter gefilmt. Diesmal war Frankenstein in miserabler You Tube-Qualität selbst Film-Acter, der sich als Wicca-Hohepriester nacheinander in einer wilden Sex-Orgie über zwölf unter Drogen stehende Hexen hermachte. Die schrecklichste Gräueltat wurde danach in der zur Metzgerei verwandelten Aussegnungshalle vollzogen. In dem am Eingang von zwei Flügellöwen bewachten, wie ein Tempel aussehenden, altertümlichen Säulengebäude, wurde von schwarz Vermummten unermesslich viel Schweineblut in einen Sarg gegossen. Die widerwärtigsten, bestialischten Handlungen vollbrachte dabei klar erkennbar ein Jonathan bekanntes, total aufgegeiltes Satanisten-Pärchen, deren nacktes Fleisch in wärmenden Lebenssaft zu ertrinken schien. Die ebenfalls in Ekstase geratenen Gaffer begannen sich niederkniened an in Blut getränkten Widerchrist-Obladen zu ergötzen, um sich wieder erhebend, abwechselnd an einem goldenen, mit Edelsteinen besetzten Dämonen-Wein-Kelch zu berauschen. Gibt es so etwas Abscheuliches? Lieber Leser, ängstige dich nicht und forsche nicht nach, denn es handelt sich hier um einen Fiktionsroman.

Jonathan war so schockiert wie noch nie in seinem Leben. Die Tränen kullerten pausenlos über seine Backen: „Frank, ich wäre dankbar, wenn du gehst und mich alleine lässt. Ab heute ist Schluss mit Magdalena. Bitte nimm dieses verfluchte Band mit und gib es Elymas zurück. Ich gebe auf. Er hat den Kampf um Fräulein Osiris-Ra gewonnen.“ „Zu Befehl Meister. Sei nicht traurig. Diese tollwütige Maggie ist eher ein Weib für mich. Warte noch ein bisschen und du wirst mehr Erfolg beim anderen Geschlecht haben“, lautete der Abschied des seinen Koffer schnappenden Sex-Monsters.

 

Jonathan war endgültig am Ende und wollte nicht mehr leben. Scheinbar hatte Gott keine Lust, sein größtes Verlangen zu erfüllen. Darum schwor er beim Opferaltar, Magdalena nie wieder unsittlich zu berühren. In Zukunft wollte der Single sich an den Ratschlag von Paulus halten, indem er nicht krampfhaft versucht verheiratet zu werden. Außerdem würde er sich wieder mehr für den Bau von Gottes Reich einsetzen, und danach trachten den Willen Gottes zu tun.

Der deprimierte Jonathan meinte deshalb zu wissen: „Wenn der Teufel einen ärgert, schlägt man am besten mit einer hohen Geldspende an ein christliches Werk zurück.“ Darum nahm der „geisteskranke Selbstmordkandidat“ am nächsten Tag einen Scheck über 100.000,- DM in die Raichberg Realschule als Opfer mit. Die auf fünfhundert Besucher angewachsene evangelische Freikirche traf sich zum sonntäglichen Gottesdienst in der brechend vollen Turnhalle des städtischen Gebäudes. David Diao predigte darüber, dass Jesus immer im Zentrum stehen muss und die Augen der Gläubigen stets auf ihn gerichtet sein sollen. „Wie recht er doch hatte“, ging es dem in der ersten Reihe sitzenden Jonathan durch den Kopf, der gerade dabei war, einen innerlichen Zerbruch durchzumachen und seinen Seelen-Frieden wieder zu erlangen. Plötzlich tauchte Elymas auf und besaß die Frechheit, sich neben ihn hinzusetzen: „Was ist los mit dir Meister? Willst du die Flinte ins Korn werfen?“ „Ganz genau. Ab jetzt folge ich radikal Jesus nach und stelle mich ihm als lebendiges, Gott wohlgefälliges Opfer zur Verfügung. Magdalena kannst du behalten“, damit glaubte Jonathan den Zauberer loszuwerden. Doch der dachte nicht daran zu gehen. Im Gegenteil, dieser griechisch stämmige Deutsche fing an sich mit Pastor Diao am Ende der Versammlung angeregt auf Chinesisch zu unterhalten. Er behauptete, in der Nacht weibliche Engelserscheinungen mit Namen Licht und Donner gehabt zu haben. Diese hätten ihn an den Eingeweiden operiert, so dass er die Gabe in anderen Zungen zu reden bekommen hat. Der himmlische Diao war außer sich vor Freude und selbst Vera begann, den christlichen Zauberer wegen seiner Sprachbegabung aus der Distanz zu bewundern. „Was hast du denn Jonathan? Du schaust so traurig aus“, erkundigte sich die Feinfühlige bei ihrem langjährigen Bekannten. „Du hast recht gehabt mit Osiris-Ra. Sie ist eine Nummer zu groß und viel zu heiß für mich. Hier bitte, nimm den Scheck. Ich möchte euch und die Gemeinde segnen“, seufzte der einen Briefumschlag übergebende Missionspartner. Als Jonathan am Abend von einem stundenlangen Spaziergang heimkehrte, war sein Anrufbeantworter voll gesprochen. Vera war außer sich vor Freude, bedankte sich für die Geldspende und lud ihn am nächsten Morgen zum Frühgebet ein. Die zweite Anruferin Magdalena erzählte zehn Minuten lang wie toll ihr gemeinsamer Einsatz mit Frankenstein in der Vesperkirche war. Der geknickte Verehrer löschte die Aufzeichnung, da er ihre Stimme nicht mehr hören konnte. Der Schmerz saß zu tief.

 

„Oh Mann, ich muss wirklich übergeschnappt sein, weil ich um 5.30 Uhr aufstehe, um mich mit einem des Landes verwiesenen Chinesen zu treffen, dessen lautes Gekrächze wie ein Gockelhahn die ganze Nachbarschaft aufweckt“, ging es Jonathan durch den Kopf, als er sich mit David, Vera, Martin Peter und Reinhild in deren Heumadener Hobbyraum an den Händen fasste. Doch irgendwie kam durch das abwechselnde Bekennen von Bibelstellen neuer Lebensmut und eine kühne Entschlossenheit auf den Gotteskrieger. Jonathan sah unvermittelt in seinem inneren Auge den Gebäudekomplex des Möhringer SI-Centrums und schien zu betrachten, wie die stehenden Besucher der aus den Nähten platzende Freikirche sich gemütlich in die roten Samtklappsessel der Musical Hall setzten. Als er den geistlichen Eindruck weitergab, bekam er einstimmig das Amt des Schatzkanzlers zugedacht, der sich um die zukünftige Hallenanmietung kümmern soll. „Du wirst sehen, wenn das spirituelle Bild vom Heiligen Geist ist, bekommen wir prompt die Zusage“, zeigte sich Martin Peter sehr optimistisch. Jonathan begann sein Wandel mit Gott wieder mehr Spaß zu machen, denn das Hallenmanagement gab ihm sofort einen Termin beim von allen Seiten umschwärmten obersten Chef. Der scheue Investor wollte das Gebäude eigentlich nur ein- oder zweimal für 10.000,- DM zur Probe mieten. Hop oder top lautete dagegen die Devise des solventen Rolf Deyhle, der die Option gab, bei Gefallen den Miss Saigon Theater-Saal zum Festpreis von 100.000,- DM für vier Monate Sonntag morgens zu buchen. Jonathan hatte sich schon so gut an die Rolle des wahnsinnigen, bürgenden Bank-Spenders gewöhnt, dass er diesen Anteil ebenfalls übernahm. Die Beliebtheit und Achtung bei seinen China-Freunden stieg dadurch enorm. So trafen sie sich weiterhin zum Frühgebet und warteten auf charismatische Eindrücke. Montags bei Anrichs, Mittwochs bei Diaos und Freitags morgens in Jonathans Wohnung.

Der nächste Impuls von Jonathan war, Tobi Veigel und Simon Wörner zu fragen, ob sie mit ihrer Band Beat Generation nicht den Musikteil der Treffen übernehmen, was zusätzlich für Popularität sorgte. Außerdem wurde nach dem Gottesdienst ein kleiner kostenloser Imbiss aufgetischt und kräftig in der U-Bahn und auf Littfaßsäulen Reklame gemacht. So wuchs die Versammlung innerhalb von zwei Wochen auf 2000 Besucher an. Die meisten davon waren Christen, die ihren Heimatgemeinden den Rücken zukehrten, weil sie den moderneren, nobleren Gottesdienst bevorzugten. Deshalb hatte der evangelische Pastor Müller gar keine Freude an Jonathans Werbeideen und verurteilte am Telefon scharf die amerikanisierten pfingstlerischen Auswüchse. Es wäre nach wie vor viel besser für den Fischer-Jesusjünger, so wie Magdalena und Frankenstein in der diakonischen Vesperkirche mitzuarbeiten. Der dachte dagegen nicht daran ins Leonhardsviertel zurückzukehren. Er vermied es peinlichst, Kontakt mit Magdalena zu führen und nahm den Telefonhörer nicht ab, wenn ihre Nummer auf dem Display angezeigt wurde. In einem längeren Brief hatte Jonathan seinem Schwarm versucht zu erklären, warum es besser ist, sich vorerst nicht mehr zu sehen und Abstand voneinander zu gewinnen.

 

Im Gegensatz dazu ließ sich dieser aufdringliche Wicked-Oz einfach nicht abschütteln, indem er einen weiteren Fuß in die evangelische Freikirche setzte. Elymas erreichte durch seine Beziehungen, dass das SWR-Fernsehen einen positiven Bericht über die „Schau auf Jesus“ Gemeinde ausstrahlte. Er gewann seinen abspeckenden Patienten, den Justizminister Max-Moritz Straussinger, als Schirmherrn und Gastredner für den Gottesdienst. Anscheinend war diesem im Healing Room – Heilungsraum – des Edel-Ethos-Center ein zu kurzes Bein heraus gewachsen, was den politischen Wahlkampf-Prediger veranlasste unter dem Jubel der Zuhörer lautstark zu verkündigen, dass Gott heute noch heilt. Ferner bekam der mit David Diao bevorzugt Mandarin sprechende Geschäftsmann Elymas die Genehmigung vor und nach dem Gottesdienst die Johannis-Verlag Bücher seines mobilen Ladens zu verkaufen. Das gefiel dem die Unterhaltung nicht folgen könnenden Kassenwart Jonathan überhaupt nicht, weil ihm Tempelgeschäfte suspekt waren, und er viel lieber den Charisma Shop als Lieferanten gehabt hätte. Ähnlich wie Jonathan brachte Elymas viele fruchtbare Ideen für die Gemeinschaft ein, so dass er kurzerhand ebenso in das Leitungsteam des eingetragenen Kirchen-Vereins aufgenommen wurde. Der Zauberer war Fan von christlicher Literatur, die lehrte, dass man alles bekommen kann, was man will, wenn man nur glaubt. Seine Favoriten waren „Kraft des positiven Denkens“ von Norman Vincent Peale und „Die vierte Dimension“ von Jonggi Cho. Deshalb schlug Elymas anhand dem erfolgreichen südkoreanischen Vorbild vor, unter der Woche Zellgruppen mit 13 Personen abzuhalten und für die Leiterschaft eine Multi-Level-Struktur einzuführen. Außerdem sponserte Wicked-Oz eine Studienreise in die USA zur Oral Roberts University und Christal Cathedral Megachurch von Dr. Robert H. Schuller. Die dreizehn erfolgreichsten Zellgruppenführer, die es am schnellsten schafften ihre Hauskirche in eine ebenso Große zu dividieren, wurden eingeladen vierzehn Tage durch die USA zu reisen. Ausgerechnet der junge Katholik Markus Ruf, der in dem Kraftsportler Christoph Ziegler seinen eifrigsten Mithelfer heranzog teilte das auf 24 weitere Besucher angewachsenes Freitags-Wohlfühl-Treffen schon bei der nächsten Möglichkeit. Das war kein Wunder, denn die angeheiterten Veritas-Burschenschaft Studenten trafen sich in der Tübinger Wohnheimbar im Keller. Als Nachweis sollte sich jeder Teilnehmer verbindlich registrieren lassen und einen plumpen Meinungs-Fragebogen ausfüllen. Ferner musste jedes Treffen nach Themen und Mitglieder dokumentiert werden. Die Einwände von Jonathan, dass diese Überwachungs- und Nachforschungsmethoden an die Scientolgy „Kirche“ erinnern wurde von Himmelsbürger Diao abgeschmettert. Schließlich musste man in der Dreiselbstkirche in China ebenfalls Meldebögen ausfüllen. Zudem konnte er damit beweisen, die am schnellsten wachsende, protestantische Bundesvereinigung Deutschlands zu leiten. Scheinbar vergaß der „Himmlische Bibelkenner“ das Gottesverbot der Volkszählung, das ein bekannterer David gebrochen hatte und einen schweren Fluch nach sich zog. Die ganzen Kontroll-Aktivitäten begannen Jonathan immer unheimlicher zu werden. Etwas besser behagte ihm die für Kinder neu eingeführte Beard-Powell Boy and Girl Scout Groups, die in die gute Obhut von Reinhild und Martin Peter Anrich gegeben wurden und sich ebenso prächtig entwickelten. Leider gelang es Wicked-Oz bei den zu Rittern geschlagenen Pfadfindern wiederum ein militärisches Pyramidenführungsprinzip einzuführen, in dem gleichfalls alle Aktivitäten von der mit Orden ausgestatteten Leiterschaft dokumentiert werden mussten, um zu beweisen, dass in Stuttgart in Rekordzeit der größte Pfadfinder-Stamm Europas aufgebaut wurde.

 

Jonathan hätte nicht gedacht, dass in seinem nächsten Kundengespräch Ron, der jüngste Elite-Pfadfinder der Vereinigten Staaten eine ebenso auditive Rolle einnehmen würde. Maria Müller-Kempe saß in seinem Büro in der Park-Haus Filiale und fing unvermittelt an, Herz zerreißend zu weinen, als ihr Bankberater sich nach ihrem Befinden erkundigte. Die Arme kam gerade aus ihrem sechstägigen Italien-Urlaub zurück, den sie in einem Besserungscamp verbringen musste. Scheinbar hatte sie den Wellnessurlaub und die mit Vitamin-Präparaten verbundenen Saunagänge gar nicht genossen. Im Gegenteil, denn sie beklagte sich über die von L. Ron Hubbard eingeführten verrückten metaphysischen Lehren der Scientology Sekte, denen sie zum Opfer gefallen sei. Ihr totalitärer Diktator und Ehemann Karl Kempe wäre einer der führenden kosmischen Köpfe, der sich in peinlich debiler Weise für eine Reinkarnation von Mussolini hielt, und um seinen frei operierenden Thetan zu erreichen, selbst seinen Schwiegersohn um die Ecke bringen würde, wenn er sich nicht als clear erweisen würde. Sie wäre ja selbst schuld an ihrem Unglück, weil sie nicht auf die Warnungen ihres Beichtvaters Fürst vor dem als Luzifer und Engel des Lichts erscheinenden Bräutigam gehört hatte. Ja, selbst Kinder würden in seinem sizilianischen Psycho-Konzentrations-Lager, in liebloser verachtungsvoller Weise, nur als kleine verbesserungswürdige Körper angesehen und entsprechend geläutert. Bevor ihrem Leben ein Ende gesetzt wird, wolle sie Jonathan in die kriminellen Machenschaften seines bösen Aufsichtsratsvorsitzenden einweihen. Ihr Göttergatte Karl hätte aus dem Tod von Gebhart Scharkfisch überhaupt nichts gelernt. Im Gegenteil, als von Max-Moritz Straussinger eingesetzter neuer Schatzmeister der Bundespartei würde er die dubiosen Machenschaften seines Vorgängers noch verschlimmern. Am meisten bedauere sie jedoch, dass Jonathan nicht zum Bankdirektor befördert wurde, sondern ein korrupter Logenbruder ihres Mannes, der die betrügerischen Immobiliengeschäfte im selben Stiel fortsetzen musste. Sie verstehe nicht, dass im Denkenstadter Gemeinderat niemand etwas gegen die gesetzlosen Machenschaften bei der Umlegung von Bauland unternimmt. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende Fischer überlegte sich, ob er ihr weitere süffisante Schmiergeld-Details über die Schaffung des Neubaugebiets und die Erteilung von Vorteil gewährenden Baugenehmigungen und Krediten geben soll. Er zog es statt dessen vor, in tröstender Weise seinen Arm um die Bedauernswerte zu legen. Einen kurzen Moment schoss es ihm durch den Kopf, dass die steinreiche Maria doch die Richtige für ihn wäre, wenn sie sich vom niederträchtigen Kempe scheiden lässt. Doch sofort erinnerte er sich an das letzte der zehn Gebote und an sein Versprechen, nicht aktiv nach einer Ehefrau zu trachten.

 

Große Gewissensbisse überkamen Jonathan, weil er sich nicht weiter um die depressive Maria Müller-Kempe angenommen hatte, als er am nächsten Morgen an der Arbeit erfuhr, dass sie sich vom 70 Meter hohen Autobahnviadukt gestürzt hatte. Niemand seiner Kollegen, außer Jonathan selbst, konnte sich erklären, warum die reichste Frau Denkenstadts in den Tod gegangen ist. Bei ihrem letzten Abschied hatte sie ihm ein verschlossenes Samsonite Köfferchen übergeben, dessen Riegel er knacken sollte, falls ihr etwas zustößt. Betroffen und aus Neugierde nahm sich Jonathan Freistunden, um die schwarze Aktentasche mitzunehmen und zu Hause zu öffnen. Der Kopfarbeiter bekam das heftig widerstandleistende Schloss nicht auf. Deshalb durchtrennte er mit seinem Bosch Flex Winkelschleifer auf der Terrasse den dicken Plastikmantel des Behältnisses. Als erstes stieß ein Testament zum Vorschein, welches „Karl den Großen“ weitestgehend enterbte und die katholische Kirche als Nachlass Begünstigten einsetzte. Ausgerechnet jetzt bekam er ungebetenen Besuch von Rolf Schafpelz und Karl Kempe, die ihn schon von weitem erspäht hatten. Der anstürmende Bankdirektor warf ihm vor, dass er sich unerlaubter Weise vom Arbeitsplatz entfernt hatte, und der dem Aufsichtsrat vorstehende Ehren-Professor riss die halbierten familiären Kofferschalen samt Inhalt an sich. Schon am Nachmittag wurde Jonathan Fischer schnurstracks von Octopussy die Kündigung zugestellt. Die eidesstattlich bezeugte Versicherung lautete, er habe Kempe bestohlen, geheime Kundendaten ungeschützt auf seiner Veranda deponiert und Beihilfe zur Geldwäsche auf Marias Konto geleistet. In der Tat hatte er vor einer Woche Dr. Wolfgang Baumeister, dem Leiter der Innenrevision, telefonisch bestätigt, dass er über die Schwarzgeldgeschäfte, der ihr schlechtes Gewissen erleichternden Müller-Kempe, höchstpersönlich informiert wurde und nichts gegen die weitere Verhinderung unternommen hatte. Der arme Jonathan, der eigentlich reich war, wurde zur Höchststrafe von 100.000,- DM nach dem Geldwäschegesetz verurteilt. Die ihn ehrenhalber aus dem Gemeinderat verabschiedenden Parteigenossen versuchten ihn zu ermuntern, da es sich hierbei lediglich um eine gemeinnützige Spende handele, und er nur in Augen der öffentlichen Meinung vorbestraft sei. Die Hauptschuld der bestechenden Vergehen wurde sowieso wiederum der verleumdeten Leiche zur Last gelegt. Die rufgeschädigte, wie eine leblose zerschmetterte Statue starrende Maria, deren gefestigter Körper ohne vorige genaue Untersuchung mit extra Chemikalien für die Familiengruft einbalsamiert wurde, konnte sich verständlicher Weise nicht mehr zur Wehr setzen. Der Warnhinweis von John Todd, des Phil Collins „In The Air Tonight“ Tour-Truck-Drivers, der gesehen hatte, dass kurz vor ihrem Abflug zwei dunkle Gestalten, im auffälligen Bentley Continental Cabrio, spät nachts auf dem schmalen Standweg der weiten Brücke angehalten haben und den Kofferraum öffneten, wurde genauso ignoriert, wie Jonathans unverschämte ketzerische Behauptung eines katholischen Neuen Testaments Marias, in dem nichts von ihrer Himmelfahrt, sondern von dem mütterlichen Vermächtnis „Tut was er euch sagt“ steht.

 

Die gelbe Post brachte als Götterbote darüber hinaus zusätzlichen, unbequemen Schriftverkehr für Jonathan ins Haus. Der Stuttgarter Notar Uwe Baumann konnte nicht mehr verantworten, dass Fischer die Grabesstiftung führt, da heutzutage so viele Gelder von Hausverwaltern veruntreut werden und Jonathan schließlich arbeitslos wäre. Noch unverschämter war der Brief seines alten Parteigenossen Max-Moritz Straussinger, in dem Jonathan von dem dazu gestoßenen Kirchenbruder aufgefordert wurde, das Amt des Schatzmeisters niederzulegen, da er ja vorbestraft wäre und aufgrund seiner Geldwäscheaktivitäten für so ein verantwortungsvolles Amt erwiesener Maßen unfähig wäre. Jonathan kochte vor Wut. Das verfluchte Pyramidengrab konnte seinetwegen jemand anderes besuchen, aber er selbst hatte doch mit seinen vielen guten Ideen die „Schau auf Jesus“ Gemeinde ins Scheinwerferlicht gebracht. Sein nächster Einfall sollte ihm zum totalen Durchbruch verhelfen und eine Vollzeitanstellung in der Kirche sichern, dachte sich zumindest der Science Fiction Held. Jonathan Fischer schaffte es tatsächlich, das Daimlerstadion für 300.000,- DM an einem Wochenende zu mieten und die berühmten Bußprediger Reinhard Hill und Steve Bonnke zu engagieren. In seiner selbst gestrickten Erweckungs-Vorstellung bekehrten sich 60000 Menschen auf einen Schlag und verhalfen ihm als finanzierendem Organisator zu großem Ruhm und Ansehen. Das Leitungsteam der Gemeinde unterstützte sein Vorhaben und freute sich ungemein. Allein Elymas war ein bisschen beleidigt, weil sein Vorschlag Billy Graham einzuladen und gleich noch die katholische Kirche mit ins Boot zu nehmen abgelehnt wurde. Dafür freute sich Wicked-Oz um so mehr, als der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Ratzinger das neue Gemeindebüro in der Talstraße besuchte und zahlreiche Mängel entdeckte. Der gute Jonathan hatte vor lauter Arbeitsstress keine Ordner für den Schriftverkehr angelegt und selbst die Spenden-Kontoauszüge fehlten teilweise bzw. waren nicht chronologisch abgeheftet.

Somit wurde der untreue kirchliche Finanzverwalter Fischer als Kassenwart untragbar und mit der Mehrheit der Männerstimmen seines Vorstandspostens enthoben. Schließlich drohte sonst, die Gemeinnützigkeit des eingetragenen Vereins verloren zu gehen. Noch mehr schmerzte Jonathan der gemeinschaftliche Rat von David, Martin Peter und Elymas, die Gottesdienste in der Musical Hall für eine Zeit lang nicht mehr zu besuchen, bis Gras über die Sache gewachsen sei. Das vereinende Frühgebet wurde sowieso abgeschafft, da David Diao und Martin Peter Anrich vom Justizminister Max-Moritz Straussinger in die oberen Regierungs-Kreise eingeführt wurden und wie Elymas Wicked-Oz morgens lieber ihre Bilder in der Stuttgarter Zeitung begutachteten. So waren die Kirchendiener bei nächtlichen exklusiven Staats-Empfängen und im VIP Bereich des VFB Stuttgart gern gesehene Gäste und konnten so das kommende Evangelisationsspektakel im städtischen Stadion besser vorbereiten. Vera und Reinhild wollten den Kontakt zu Jonathan nicht abbrechen lassen. Sie trafen sich heimlich mit dem Gefallenen und beteten scheinbar vergeblich für Gerechtigkeit. Letztendlich bestimmten ihre Ehegatten unter dem Regime von Wicked-Oz, dass man sich mit Verlierern besser nicht umgibt.

 

„In der Not lernt man seine wahren Freunde kennen!“, brachte Jonathan Aaron in der Speisekammer bei. Das Frettchen kostete es aus, mit seinem Herrchen eine ausgedehnte Muße lang im Dunkel Versteck zu spielen. Wenigstens seine lieben behinderten Eltern, die er eher vernachlässigt hatte, hielten zu ihm. Auch die Familie seines entfernt wohnenden Bruders Thomas freute sich über häufigere Besuche. Die treue Witwe Hilde wollte ebenso nicht annehmen, dass an den Rufbeschädigungen etwas Wahres dran war. Neben Markus Ruf, der telefonisch bei der Stange blieb und alle Gemeinde-Interna weiter gab, freute sich Pastor Georg Müller besonders über das wieder gefundene verlorene Schaf. Der evangelische Mentor tröstete Jonathan mit der Weisheit, dass je tiefer eine Person fällt, desto höher könnte sie empor gehoben werden, da der sich selbst verleugnende christliche Weg nach oben, immer erst in Demut nach unten führt. So hätte der Herr Jesus Christus selbst behauptet, wer sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren, und wer es verlieren wird, der wird es gewinnen. Der Predigt folgend beteiligte Jonathan sich tatsächlich bei der Essensausgabe in der Vesperkirche und nahm an dem Schicksal der sozial am Rand stehenden Menschen teil, indem er ihnen stundenlang zuhörte. Kaum hatte er Freude an dieser Tätigkeit gefunden, ging sie vorüber. Der Winter war zu Ende, weshalb sich die neun Wochen täglich öffnenden Pforten des Gotteshauses wieder schlossen. Jonathan beschloss deshalb, die lieb gewonnenen Menschen selbst auf der Straße aufzusuchen, und sie zum Essen in Gaststätten einzuladen. Diese Großzügigkeit sprach sich schnell herum und machte ihn zu einem modernen König der Bettler. Die Stimme Jesu vermehmend, wollte er nicht so enden wie der reiche Mann in dem Gleichnis mit dem armen Lazarus. Darum verband er oft die eitrigen Wunden der Alkoholabhängigen. Er bezahlte sogar die Tierarztrechnungen der leckenden Hunde und nützte Kontakte zur Heilsarmee für Kleiderausstattung und menschenwürdigere Übernachtungsmöglichkeiten. Jonathan teilte gemeinsam mit den Jesus-Freaks, der Brothaus Gemeinde und den City Chapel Leuten Samstag Nachts Wurstbrote und Teepunsch aus und befreundete sich mit Robby Strobel von der BGG – Biblischen Glaubensgemeinde. Dieser hatte tatsächlich die Hälfte seiner Hochzeitstorte an die von ihm betreuten Junkies auf der Königstraße verschenkt. Sein wöchentliches Suppentopfteam erfreute sich bei den Drogenabhängigen immer größerer Beliebtheit. Dadurch inspiriert arbeitete Jonathan in der zum Mülheimer Verband gehörenden Olgagemeinde mit. Die Kirche mit Biss im Olgakeller versorgte die Bedürftigen mit einem fast kostenlosen Essen verbunden mit einem geistlichen Input durch Kurzpredigt und Lobpreis. Auf die Spitze trieb es der Jesusjünger, der nicht wusste, wo er sein Haupt hinlegt, als er ohne Geld eine Woche mit den Obdachlosen in einer Unterführung Platte machte und sich selbst durchs Leben schnorrte. Damit war er endgültig einer der ihren geworden und erhielt selbst von Frank Stein die größte Anerkennung.

Dieser Frankenstein sorgte gemeinsam mit Maggie anderweitig für mächtig Furore, denn beide beabsichtigten das Rotlichtviertel zu bekehren. Neben den evangelistischen Besuchen von Magdalena durch das Verschenken des Jesus-Films und von Bibeln bei ihren Ex-Kolleginnen, sorgte Frankenstein dafür, dass jeder Freier beim Betreten der Freudenhäuser von einem dafür bezahlten Obdachlosen fotografiert und abgeschreckt wurde. Bei den folgenden Prügelszenen mit den Zuhältern behielt die Baseball schlägernde, glatzköpfige Skinhead-Straßenfraktion die Überhand. Die Etablissements mussten zwar nicht Insolvenz anmelden, da die Einnahmen des ältesten Gewerbe der Welt sowieso nicht bilanziert und fast überhaupt nicht versteuert werden, aber die Szene beschloss aufgrund der Umsatzeinbrüche vor die Tore der Stadt zu ziehen. Die verbleibenden Damen wurden seelsorgerlich vom Müllerpastorenehepaar betreut und schafften größtenteils die Rückkehr ins geregelte Berufsleben.

 

Jonathan konnte ebenso nicht weitermachen wie bisher, weil seine Rücklagen aufgebraucht waren, und er sich nicht arbeitslos gemeldet hatte. Deshalb nahm er die erstbeste geregelte Stelle an. Dem Rat seiner Eltern folgend arbeitete er wieder bei einem Geldinstitut. Dieses Mal bekam der schwer vermittelbare Vorbestrafte eine dienende Reich Gottes Schaltertätigkeit angeboten. Der frühere Filialleiter half vier Gehaltsstufen niedriger bei der EKK Evangelische Kreditgenossenschaft eG als Servicemitarbeiter für Pastoren und andere Kirchenangestellten mit. Süffisanter Weise wurde Elisabeth Schätzle, mit der er sich gut verstand, seine zukünftige Teamleiterin.

Viel geliebte Leserinnen und liebe detailverliebte Schmökerer, um niemand nach diesem Mammutkapitel weiter auf die Folter zu spannen, seid gewiss, dass im zehnten Teil der Lebensfiktion von Jonathan Fischer der Held der Story seine Traumfrau erkennt und heiratet. So viel sei vom Betriebsgeheimnis verraten: Die Jonathan nahe stehende Person ist dem Studierenden bereits bekannt!